It’s a Match! Über Status Quo und Zukunft der HR

Von   Jessica Kühn   |  Wissenschaftliche Mitarbeiterin   |  IfKW & ifi der LMU München
7. Oktober 2020
Der Kampf der Unternehmen um die besten Talente findet mittlerweile auch digital statt. Dieser Studienbericht gibt Einblicke in eine Unternehmensumfrage zum Recruiting.

Die Coronakrise hat tiefgreifende Auswirkungen nicht nur auf unsere Gesundheit und unsere Gesellschaft, sondern auch auf den Arbeitsmarkt und damit auf Unternehmen als Arbeitgeber. Dabei haben die einzelnen Branchen unterschiedliche Herausforderungen zu meistern, die sich auch auf das Personalwesen im jeweiligen Unternehmen auswirken: So zeichnet sich aktuell ein Bild zwischen Stillstand und Offensive ab, einheitliche Strategien gibt es nicht.

Aber auch vorher stand die HR nicht still: Auch an dieser Front ist die Digitalisierung mittlerweile angekommen und zeigt großen Chancen und Potenzial auf. Sie bringt einige Neuerungen und Veränderung mit sich – und das nicht nur öffentlich sichtbar, sondern auch intern. Prozesse und Kommunikationsstrukturen werden neu gedacht, sodass Begriffe wie Cloud-Speicherung, KI und Active Sourcing nicht mehr neu sind. Und wie auch in anderen Branchen entsteht in der HR durch den digitalen Wandel eine Verschiebung von Offline- zu Online-Kompetenzen und -Workflows.

Inwiefern wird dem Fachkräftemangel und dem War for Talents mittlerweile digital begegnet? Wo sehen Unternehmen Herausforderungen? Dieser Studienbericht gibt Antworten auf diese Fragen. Ziel der Unternehmensumfrage war es, ein aussagekräftiges Abbild der aktuellen digitalen Ausrichtung der Recruitingprozesse in Unternehmen zu gewinnen, um eine empirische Grundlage für spätere Empfehlungen und Hinweise zu geben.

Kurz und knapp

  • Die Befragten sind durchschnittlich zufrieden mit dem Recruiting in ihrem Unternehmen, es gibt Verbesserungspotenzial und Chancen.
  • Laut knapp 75% der Unternehmen stellt das Matching zwischen Unternehmen und Bewerber die größte Herausforderung dar.
  • Zu den Top 3 der relevantesten Kriterien für die Bewerberauswahl gehören: die Persönlichkeit des Bewerbers, dessen fachliche Qualifikation und gleichauf dessen Sozialkompetenzen.
  • Unternehmen nutzen diverse Kanäle zur Besetzung ihrer Vakanzen, wobei sich eine Verschiebung von offline zu online zeigt.
  • Als künftig besonders relevant schätzen Unternehmen diejenigen Technologien ein, welche das Unternehmen-Bewerber-Matching unterstützen.

Methodik der Studie

Die Studie wurde von Talents4Future zur Analyse des Status quo der digitalen Transformation in deutschen Unternehmen durchgeführt. Die Untersuchung wurde am Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme (Institut für Informatik) gemeinsam mit dem Lehrstuhl für empirische Kommunikationswissenschaft (Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung) der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt.

Zur Beantwortung der Frage, inwiefern sich die Digitalisierung auf Rekrutierungsprozesse im Personalwesen auswirkt und welche Herausforderungen Unternehmen wahrnehmen, diente eine Befragung mit Unternehmen.

Der Fragebogen enthält diese Schwerpunkte:

  • Rekrutierungsmerkmale & -kanäle
  • Herausforderungen & Probleme
  • Erfolg & Zufriedenheit
  • Bedürfnisse & Wünsche für Karriereplattformen im Internet
  • Relevanz neuer digitaler Technologien

Die Unternehmensbefragung erfolgte 2020 über das Online-Befragungstool SoSci Survey. An der quantitativen Online-Befragung nahmen 102 Personen teil. Unter den Befragten waren sowohl Geschäftsführer und Führungskräfte als auch Fachangestellte mit Personalverantwortung aus vor allem großen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern (vgl. Abbildung 1) aus diversen Branchen (vgl. Abbildung 2).

Abb. 1
Abb. 2

Die zentralen Erkenntnisse

Zufriedenheit mit der eigenen HR

Insgesamt sind die Befragten mit dem eigenen Recruiting im Unternehmen im Mittel weder unzufrieden, noch sehr zufrieden (M=2.27; SD=0.55), sodass durchaus Potenzial für Verbesserung besteht. Dieser Wert deckt sich mit der Frage nach den Erfahrungen hinsichtlich des Erfolges der Stellenbesetzung im letzten Jahr (M=2.13; SD=0.50).

Kriterien für das perfekte Unternehmen-Bewerber-Matching

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich die Suche nach dem passenden Bewerber auf mehrere Kernsäulen bezieht: Unternehmen suchen hochqualifiziertes und erfahrenes Personal, was aber nicht allein ausreicht. Soft Skills spielen eine ebenso große Rolle und auch die Persönlichkeit und Wertevorstellung müssen mit dem späteren Team und Unternehmen matchen (vgl. Abbildung 3).

Abb. 3

Am wichtigsten ist aus Unternehmenssicht die Persönlichkeit des Bewerbers für dessen Passung zur entsprechenden Vakanz (M=2.89; SD=0.35). Auch soziale Kompetenzen (M=2.77; SD=0.47) und der Cultural Fit zwischen Unternehmen und Bewerber hinsichtlich deren Wertevorstellungen und Handlungsweisen (M=2.65; SD=0.54) gehören zu den relevanten Soft-Matchingkriterien. Daneben spielt auch die fachliche Qualifikation des Bewerbers eine große Rolle (M=2.77; SD=0.45), genau wie dessen berufliche Erfahrung (M=2.47; SD=0.6). Als weiteres hartes Matchingkriterium wird die Gehaltsvorstellung eingeschätzt (M=2.42, SD=0.54). Dabei spielt das eigene Bauchgefühl des einstellenden Unternehmensmitglieds eine ebenso große Rolle (M=2.51; SD=0.56).

Als weniger relevante Kriterien werden Abschlüsse (M=2.04; SD=0.54) und Noten (M=1.89; SD=0.58), aber auch Fremdsprachenkenntnisse (M=2.06; SD=0.73) und die Anforderungen des Bewerbers an das Unternehmen (M=2.01; SD=0.5) wahrgenommen. Auch die Auslandserfahrung, die ein Bewerber mitbringt, wird im Vergleich als weniger wichtig bewertet (M=1.58; SD=0.60), ebenso wie ehrenamtliches Engagement (M=1.56; SD=0.56).

Herausforderungen und Probleme

Diejenigen Matching-Merkmale, welche von den Unternehmen als am wichtigsten bewertet werden, bieten allerdings auch das größte Potenzial für Probleme: So wird der No-Match zwischen Bewerbervorstellungen und -fähigkeiten mit den Unternehmensgegebenheiten im Hinblick auf fehlende fachliche Qualifikationen und soziale Kompetenzen, verzerrte Gehaltsvorstellungen und unpassende Vorstellungen vom Tätigkeitsbereich oft genannt (vgl. Abbildung 4).

Abb. 4

Als besonders problematisch sehen die Unternehmen die fehlenden fachlichen Qualifikationen (69,6%) und das Ausbleiben der gewünschten sozialen Kompetenzen (37,3%) der Bewerber für das ausgeschriebene Stellenangebot. Auch die Gehaltsansprüche der Bewerber treffen knapp bei der Hälfte der Bewerber nicht die des Unternehmens (47,1%). Zudem besteht die Problematik, dass die Bewerber häufig falsche Vorstellungen im Hinblick auf die Aufgaben der Vakanz haben (44,1%). Als weniger problematisch werden zu hohe Anforderungen bzw. der Wunsch nach Benefits (14,7%) und Fake-Bewerbungen (13,7%) genannt.

Zudem sehen Unternehmen Herausforderungen im zeiteffizienten Zugang zu einer ausreichenden Anzahl potenzieller Kandidaten, von denen sie als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden, um die Vakanz passend zu besetzen. Die fünf am häufigsten genannten Herausforderungen sind in absteigender Reihenfolge: Passende Bewerber für die Vakanz finden (73,5%), eine ausreichende Anzahl an Kandidaten für die Vakanz finden (48%), Zugang zu potenziellen Kandidaten finden (44,1%), als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden (36,3%) und der Zeitdruck bei der Stellenbesetzung (33,3%).

Weniger häufig genannt wurde die Überzeugung von Bewerbern (16,7%), Unternehmensressourcen (finanziell 11,8%, personell 9,8% und sachlich 6,9%) und unpräzise Anforderungsprofile (5,9%).

Recruitingkanäle

Unternehmen nutzen diverse Rekrutierungskanäle zur Besetzung ihrer Vakanzen, wobei das Verhältnis von Erfolg zu Kosten auf die Nutzungswahrscheinlichkeit einzahlt. Hier brilliert die eigene Karrierewebseite, während Print-Anzeigen an Bedeutung verlieren (Abbildung 5).

Die eigene Karrierewebseite wird zu 82,4% von den befragten Unternehmen genutzt. Sie ist erfolgversprechend (M=3.53) und zeitgleich kostengünstig (M=1.19). Neben diesem passiven Kanal nutzen Dreiviertel Active Sourcing (73,5%), also die zielgerichtete Ansprache potentieller Bewerber und ebenso häufig (73,5%) ein Mitarbeiterempfehlungsprogramm – hier ist das Kosten-Erfolg-Verhältnis für die Unternehmen vorteilhaft. Auch Social Media Beiträge (53,9%) zählen zu den kostengünstigen (M=2.08) Recruitingkanälen im Verhältnis zum Nutzen (M=2.96). Für Online-Jobbörsen für Spezialisten (52,9%) bewerten Unternehmen das Kosten-Erfolg-Verhältnis anders: Zwar sind die Kosten hier höher (M=3.27), aber immer noch geringer als der Erfolg (M=3.46). Unternehmen nutzen allerdings auch Kanäle, die kostenintensiv, und wenig erfolgreich sind: Knapp die Hälfte der Unternehmen nutzt klassische Headhunter, die sehr hohe Kosten produzieren (M=4.8) und im Vergleich dazu geringeren Erfolg erzeugen (M=3.73). Auch Karrieremessen (51,0%) erzeugen hohe Kosten (M=3.6) und im Mittel keinen sehr hohen Erfolg (M=3.2).

Abb. 5

Bedürfnisse & Wünsche für Karriereplattform im Internet

Unternehmen wünschen sich mobiloptimierte, nutzerfreundliche Online-Karriereplattformen, auf denen sie ihre Unternehmenspräsenz individuell mitgestalten können.

Als inhaltlich nützliche Funktionen (Abbildung 6) sehen Unternehmen insbesondere optimierte Suchfunktionen auf einer Karriereplattform (M=2,74; SD=0.5). Auch die Möglichkeit, das eigene Unternehmensportrait individuell zu gestalten (M=2.59; SD=0,6 | MVideo=2.29; SD=0.64) und ein Feature mit der Option, mit den Bewerbern zu videochatten (M=2.4; SD=0.7) wird als nützlich empfunden. Für die Unternehmen ist zudem ein differenziertes Preisangebot hilfreich (M=2.3; SD=0.64). Eine eher neutrale Bewertung hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen bekommen Blogbeiträge (M=2.03; SD=0.6), Trendanalysen (M=2.1; SD=0.68) und Fachbeiträge (M=2.17; SD=0.66).

Im Vordergrund im Hinblick auf die technischen Anforderungen einer Karriereplattform (Abbildung 7) sehen Unternehmen vor allem die Anwenderfreundlichkeit (User Experience). Dazu gehört die Mobiloptimierung (M=2.69; SD=0.6) genauso wie eine anwenderfreundliche Oberfläche (M=2.86; SD=0.38) und die Verknüpfung zur unternehmenseigenen Webseite (M=2.65; SD=0.55). Als nützliche technische Features werden die automatische Benachrichtigung von Kandidaten (M=2.66; SD=0.54), die Bereitstellung statistischer Auswertungen (M=2.63; SD=0.5), eine Direktbewerbung (M=2.56; SD=0.54) und die Speicherung von Suchkriterien (M=2.52; SD=0.59) genannt. Spezifischere Features wie ein integriertes Tool zur Videoaufnahme/-bearbeitung (M=2.69; SD=0.56) werden als nicht zwingendes Add-On angesehen.

Abb. 6
Abb. 7

Digitale Technologien

Aktuell nutzen Unternehmen sowohl Recruiting über Suchmaschinen als auch mobil, wobei sie Analysen und Matching-Algorithmen einsetzen. Da aktuell vor allem Webangebote, die über Suchmaschinen wie Google auffindbar sind, eine große Rolle im Recruiting spielen, liegt auch hier der Fokus hinsichtlich eingesetzter Maßnahmen und Technologien. So nutzen Unternehmen am häufigsten Maßnahmen zur Erhöhung der Sichtbarkeit auf Suchmaschinen (SEO, 38,2%). Auch mobiles Recruiting gewinnt zunehmend an Bedeutung, so nutzt dies aktuell knapp ein Drittel der Unternehmen (32,4%). Einen weiteren Bestandteil im aktuellen Repertoire von Unternehmen stellen Tools zur Analyse für das Matching dar: Algorithmen (22,5%), sowie People Analytics (19,6%) und e-Assessment (11,8%), aber auch KI-gestützte Systeme (10,8%) sind im Einsatz.

Dabei sehen Unternehmen auch zukünftig eine Relevanz derjenigen Technologien, welche das Unternehmen-Bewerber-Matching unterstützen (Abbildung 8). Zu den Top 5 zukunftsrelevanten Technologien im Recruiting zählen die Unternehmen Networking (52%), Video-Matching (52%), One-Click-Bewerbung (49%), intelligentes Job-Bewerber-Matching (48%) und eine KI-gestützte Software (41,2%). Von knapp einem Drittel der Unternehmen werden außerdem eine Cultural Fit Messung (37,3%), der Einsatz von Active Sourcing (33,3%) und die Diagnostik zu Hard und Soft-Skills via e-Assessment (28,4%). Weniger oft werden wird Robot Recruiting (17,6%) und Chatbots als Tool zur Bewerberkommunikation (22,3%) genannt.

Abb. 8

Fazit und Prognose

Aus den Ergebnissen lassen sich mehrere Schlussfolgerungen ziehen: Die Recruitingprozesse in Unternehmen erleben eine Digitalisierung und stete Entwicklung. Dabei zeigt sich die zunehmende Relevanz von neuen Technologien, die in der Zukunft eine noch größere Bedeutung haben werden. Insgesamt scheint es eine relative Unzufriedenheit der Unternehmen mit deren aktuellen Recruitingprozessen zu geben, die aus mehrdimensionalen Herausforderungen entsteht. Grund hierfür ist insbesondere das fehlende Matching zwischen Unternehmen und Bewerbern auf Grund von verzerrter Wahrnehmung der ausgeschriebenen Stellen.

Für die Zukunft wird es demnach immer wichtiger, sich nicht nur inhaltlich den Herausforderungen zu stellen, sondern ihnen auch auf technologischer Ebene zu begegnen. Dabei können Schlagworte wie KI zunehmend relevant werden und auch diesen Teil der Wirtschaft erobern.

studierte von 2013 bis 2019 Kommunikationswissenschaft und Soziologie an der LMU München, 2018 absolvierte sie ein Auslandssemester an der Fudan Universität in Shanghai (China). Während des Studiums war sie als studentische Mitarbeiterin und Tutorin in verschiedenen Projekten tätig. Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit beschäftigte sie sich mit der Nachrichtenrezeption aufFacebook. Seit April 2019 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius am IfKW an der LMU München tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Medienkompetenz(vermittlung) und Influencerkommunikation, wobei sie sich in ihrem Dissertationsprojekt mit Influencern als neuen Online-Meinungsführern auf Social Media beschäftigt. Zudem ist sie für die Auslandskoordinatorin am Institut verantwortlich und kümmert sich in diesem Rahmen um internationale Studierende als auch um bestehende und künftige Partnerschaften. Seit April 2020 ist sie zusätzlich Projektmitarbeiterin am Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme (Institut für Informatik, LMU München). Dort unterstützt sie mit ihrer Expertise das Teilprojekt Talents4Future durch wissenschaftliche Begleitforschung und im Marketing.

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