Corona als Digitalisierungs-Boost Erfolgreiche Remote Arbeit in einem kommunalen Versorgungsunternehmen

Von   Johanna Weichbrodt   |  Head of Internal Communications   |  Stadtwerke München GmbH
  Dr. Maximilian Stoerzer   |  Head of Digital Strategy   |  Stadtwerke München GmbH
19. August 2020

Digitale Daseinsvorsorge – Neuland?

Mal ehrlich: Digitalisierung, New Work oder Remote Arbeit ist nicht das Erste, was Ihnen  zu einem kommunalen Versorgungsunternehmen einfällt.

Bei den Stadtwerken München (SWM) ist das vermutlich nicht anders. Sie versorgen die Bayerische Landeshauptstadt u.a. mit Strom, Fernwärme- und –kälte, Gas, Glasfasernetzen, betreiben Frei- und Hallenbäder und den öffentlichen Nahverkehr. Kernaufgaben der SWM sind also vor allem, dass die U-Bahn rollt, der Strom aus der Steckdose kommt und sauberes Trinkwasser aus dem Hahn fließt.

Nicht überraschend ist der Anteil der sog. Non-Desktop-Worker bei den SWM sehr hoch: Mit mehr als einem Drittel arbeiten Beschäftige aus über 69 Nationen „an der Front“ und stellen die Versorgung sicher, so z. B. die Fahrer*innen im öffentlichen Nahverkehr, die Mitarbeiter*innen in der Zählerablesung oder der Entstörung. Demgegenüber stehen Wissens- und Büroarbeiter*innen, die vornehmlich Präsenzarbeit im Büro leisten und in der Folge andere Erwartungen an den Digitalisierungsgrad ihres Arbeitgebers haben als die sog. Frontline-Worker.

Relevant, aber nicht sexy

Die Digitalisierung hält Einzug in alle Bereiche der SWM, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Stadtwerke München befinden sich bereits seit Jahren in einem rasanten Transformationsprozess hin zu einem (auch) digitalen Versorger – eine spannende Phase, in der der Gestaltungsraum für junge Talente enorm ist.

Bewerber*innen und Mitarbeiter*innen schätzen die SWM oftmals vor allem als verlässlichen, soliden und regionalen Arbeitgeber. Wem es in erster Linie um Agilität, dynamische Veränderungen und Internationalität geht, wird sich vermutlich nicht zuerst an uns wenden. Zu Recht?

„Nein, denn wir gestalten den digitalen Wandel Münchens an so vielen spannenden Touchpoints: Klassische Kerngeschäfte Verkehr und Energie werden immer digitaler, EMobilität, autonomes Fahren und Sektorkopplung sind nur einige Beispiele“, argumentiert Max Störzer, Head of Digital Strategy. Neue Geschäftsmodelle entstehen, spannende Projekte im Bereich App-Entwicklung, AI und Data Science warten auf Gestalter*innen. Doch in München konkurrieren die SWM dabei mit einer Vielzahl an attraktiven Arbeitgebern, viele davon aus der Digitalbranche. Insbesondere, wenn der vermutete Digitalisierungsgrad des Arbeitsgebers entscheidend ist, haben kommunale Unternehmen oft das Nachsehen.

Pre Corona: Never change a running system

Neben diesem „War of talents“ hat die Digitalisierung bei den SWM einen hohen Veränderungsdruck bei Qualifikation, Organisation und Kultur erzeugt. Neben Geschäftsmodellen verlangt es auch den langjährigen Mitarbeiter*innen Veränderungsbereitschaft ab. Und davon gibt es bei den Stadtwerken viele:

Bei fast 10.000 Beschäftigten

  • arbeiten 37% seit über 20 Jahren im Unternehmen.
  • sind 43% älter als 50 Jahre

Während knapp 25% der Belegschaft in den nächsten 10 Jahren das Rentenalter erreichen, steigt der Anteil der sog. Millennials, für die der Umgang mit sozialen Netzwerken, digitalen Kollaborationstools und orts- und zeitunabhängige Arbeit selbstverständlich sind, an der Gesamtbelegschaft stetig. In Folge zeichnete sich beim Thema Home Office ein zunehmender Konflikt ab. In vielen Bereichen sah man die Arbeit von zu Hause eher kritisch. Wie kann ich als Führungskraft sicherstellen, dass vernünftig gearbeitet wird? Wie koordinieren sich Teams, insbesondere, wenn ein Teil zu Hause und andere vor Ort sind? Wie kann der Arbeitgeber seine Fürsorgepflichten wahrnehmen? Die Vorbehalte waren groß!

Den unterschiedlichen Bedürfnissen und Geschwindigkeiten der Alters- und Berufsgruppen gerecht zu werden, gelang bisher oft nur durch behutsame Veränderungsbegleitung durch die IT, Personal und Konzernführung. Dem Personalbereich fiel dabei oftmals die Aufgabe zu, zwischen den lauter werdenden Anforderungen der neuen Mitarbeiter*innen und den Bedürfnissen langjähriger Mitarbeiter*innen zu moderieren. Die kulturschonende Devise dabei war: Vermitteln, erklären, möglichst alle mitnehmen – aber auch ausdrücklich zur Nutzung der neuen Arbeitsmöglichkeiten ermuntern, durch Betriebsvereinbarungen die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür schaffen – und v.a. die Führungskräfte dabei zu unterstützen, mit den Zweifeln und Unsicherheiten, die die neuen Arbeitsweisen bei manchen auslösten, umzugehen.

Auf diese Weise ist es 2018 gelungen, die Kommunikation auf digitale Medien umzustellen. Klassische Tischtelefone sollten entfallen. Und auch erste neue virtuelle Zusammenarbeitstools wurde vorsichtig eingeführt. Aber selbst Anfang 2020 konnte aufgrund von Widerständen und dem Festhalten an „bewährten Werkzeugen“ noch keine flächendeckende Nutzung erreicht werden.

Die Anweisung zur Remote Arbeit und New Work– (k)ein Widerspruch

Dann kam Corona. Nahezu von heute auf morgen musste die Infrastruktur für die Arbeit im Homeoffice für den Großteil der Beschäftigten geschaffen werden. Während tausende Mitarbeiter*innen im Krisenmodus im Bus, im Kraftwerk oder in der Wasserversorgung unter verschärften Regeln der Vereinzelung die Versorgung aufrechterhielten, begaben sich alle anderen ins Homeoffice. Ohne Schulung, Change Konzept, Vorbereitung. Als kommunaler Versorger war dies sowohl eine Entscheidung zum Schutze der Mitarbeiter*innen, aber auch zur Verhinderung von Quarantänemaßnahmen durch Ansteckungen im Büro. Begäben sich zu viele Beschäftigte aus den Bereichen der kritischen Infrastruktur gleichzeitig in Quarantäne, wie aus den 24h-Schichtbetrieben in den Leitwarten von Kraftwerken und Netzen, wäre die Versorgung Münchens ernsthaft gefährdet.  IT-seitig klappte der Umstieg dank der 2018 erreichen IT-technischen Veränderungen zum Glück reibungslos. Innerhalb von wenigen Tagen ist es gelungen, ein extrem stabiles Netz für 4000 Kolleg*innen herzustellen. Die Zahl der gleichzeitig stattfindenden SkypeKonferenzen stieg um 700%. Anfängliche Netzüberlastungen hatten bald Seltenheitswert.  Aber vor allem nahmen die Mitarbeiter*innen die Herausforderungen der Remote Arbeit an, probierten vorbehaltlos aus, lernten und übernahmen – und zwar generations- und bereichsübergreifend. Vorteile, wie kürzere, effizientere Meetings und Prozesse durch eine digitale Abbildung, wurden erlebbar. „Berührungsängste mit neuen Technologien waren bei vielen plötzlich wie weggeblasen. Für uns ein Boost für viele Digitalisierungsprojekte!“, so Max Störzer. „Gleichzeitig wird aber auch erlebbar, dass digitales Arbeiten auch sehr anstrengend sein kann – die Ab- und Umschaltzeit zwischen zwei Meetings entfällt beispielsweise digital. Das hätten wir vorab so sicher nicht erwartet! Wir lernen gerade eine Menge dazu, als Organisation, aber ebenso jeder einzelne.“ Viele Formate und Prozesse, die bislang nur analog gekannt und akzeptiert waren, wurden nun von einem Tag auf den anderen online und digital gelebt – ohne die sonst beliebten Pilotierungen und Probephasen: So wurden sämtliche Vorstellungsgespräche (innerhalb von nur zwei Tagen) auf SkypeInterviews umgestellt, ebenso wie die zentralen Onboarding-Veranstaltungen. Aber auch Mitarbeitergespräche, Fortbildungen oder Teamentwicklungen wurden über Skype abgehalten. Zentralabteilungen wie die IT, die interne Kommunikation und der Personalbereich, aber auch die Mitarbeiter*innen untereinander, unterstützten beim Ankommen in der neuen Arbeitsrealität – mit Tipps und Tricks zu Online-Tools, zur virtuellen Zusammenarbeit oder auch zur gesunden Ernährung im Homeoffice. Und viele Abteilungen wurden kreativ, um den Zusammenhalt auch über die Distanz aufrecht zu erhalten und experimentierten mit Formaten wie virtuellen Kaffeepausen, um den zwanglosen Austausch jenseits straff durchgeführter Telefonkonferenzen zu ermöglichen.

Post-Corona: Die Krise als Game Changer

Die SWM meistern den Spagat zwischen den neu gelebten Formen der Arbeit bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Versorgung. Den Nutzen spürbar zu machen scheint besser als jedes behutsam orchestrierte Change-Programm. „Wir haben die unterschiedlichen Vorkenntnisse und Reiferade in Bezug auf digitale Tools der Zusammenarbeit überschätzt. Unsere Mitarbeiter*innen liefern uns gerade den Beweis, dass digitale Zusammenarbeit bei uns schon super funktioniert“, sagt Werner Albrecht, Geschäftsführer Personal.

Die Remote Arbeit hat zwischen Mitarbeiter*innen und innerhalb der Geschäftsführung einen massiven Kulturchange angestoßen. Auch nach der Corona-Zeit soll „hybrid“ gearbeitet werden, also in einem Mix aus Homeoffice und Präsenzarbeit. Bei der Diskussion um die Details hierzu werden die Mitarbeiter*innen beteiligt.

Eine Mitarbeiterin stellt fest: „Kaum zu glauben, durch die Pandemie wurde Unmögliches möglich. (…) Wünschenswert wäre nun, nicht mehr die alte Struktur wiederzubeleben, sondern die Mitarbeiter selbst entscheiden zu lassen, wo sie arbeiten möchten.“ 

Rückmeldungen wie diese findet man im Intranet der SWM zu Hauf.

„Wir haben in diesen Themen einen Entwicklungssprung gemacht, für den wir ansonsten 10 Jahre gebraucht hätten. Unsere Beschäftigten haben mittlerweile auch ein gutes Gespür dafür bekommen, welche Arbeitsweise sie sich nach Corona vorstellen könnten“, so Werner Albrecht. Momentan wird weiter viel ausprobiert. Prozesse, die jahrelang unantastbar schienen, werden aktuell sehr schnell angepasst oder gar aufgegeben, um gut und schnell reagieren zu können. „Ich wünsche mir, dass Vieles von diesem ‚Ausprobieren‘ uns auch jenseits der Krise erhalten bleibt“, sagt Werner Albrecht.

Ein wichtigerer Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch ein Wandel der unternehmenseigenen Meeting-Kultur. Mit örtlich und zeitlich verteiltem Arbeiten werden häufige Präsenzmeetings zunehmend schwieriger. In der Konsequenz gewinnen neue Tools, aber auch neue Hardware wie Kameras und Smart TVs in Meetingräumen, an Bedeutung, die asynchrones Arbeiten erlauben. Und man stellt fest: Das ist häufig sehr effizient; Informationsfluss und Transparenz werden verbessert.

Eine Modernisierung der Toollandschaft war geplant und muss nun schneller umgesetzt werden: Einerseits wächst der Bedarf an neuen Tools, andererseits werden die Forderungen nach einem anhaltenden Wandel der digitalen Zusammenarbeit lauter.

Ein wichtiger Baustein ist dabei sicher der Digital Arbeitsplatz der Zukunft, und zwar für alle Beschäftigten: Frontline und Wissensarbeiter*innen, Führungskräfte, Langzeit- und NeuBeschäftigte, Boomer, Millennials und Geschäftsführung! Diesen Kulturwandel hat die Coronakrise für die SWM beschleunigt.

 

leitet die Interne Kommunikation bei den SWM. In dieser Rolle verantwortet sie Inhalte und Plattformen der Mitarbeiterkommunikation und konzipiert den Digitalen Arbeitsplatz der Zukunft. Ihr Marketing-Know-how sammelte sie in der Medienbranche (ARTE, Constantin Medien).

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