„Working from Anywhere“ als Zukunftsvision der Arbeitswelt

Von   Kevin Schwarz   |  Director Transformation Strategy   |  Zscaler Inc.
6. August 2020

Die digitale Transformation greift in die verschiedensten Bereiche unseres Alltags ein, jedoch sind im Arbeitsumfeld die Veränderungen derzeit am drastischsten zu spüren. Durch die Pandemie sehen sich Unternehmen am Wendepunkt der schnellen Abkehr vom klassischen Büro hin zu einer „Work from Anywhere“-Philosophie und die Cloud macht’s möglich. Die IT-Abteilungen sind gefordert, von überall aus den gleich performanten Zugang zu Anwendungen und Daten sicherzustellen. Allerdings sind die damit einhergehenden Umwälzungen so breit gefächert, dass weitere Fachabteilungen einbezogen werden müssen.
Die Prognosen für die Arbeit aus dem Home Office sind rosig: Im Durchschnitt wird damit gerechnet, dass 40-60 Prozent der bisherigen Belegschaft künftig mobiler agieren wird und nicht mehr täglich zum Arbeiten an den Büroschreibtisch kommt. Die Pandemie hat gezeigt, dass ein solches Arbeitsplatzmodell funktioniert und die Mitarbeiter zufrieden sind, sobald ihnen der schnelle und reibungslose Zugriff auf ihre Arbeitsumgebung gewährt wird. Von wo aus gearbeitet wird, spielt keine Rolle mehr, solange die Produktivität aufrecht erhalten werden kann.

Das Home Office ist dabei nur eine mögliche Alternative zum Büroschreibtisch. Co-Location-Angebote erfreuen sich einer stetig wachsenden Akzeptanz und kommen dem Wunsch nach einem flexiblen Arbeitsplatz ebenso entgegen. Die Vorteile für Unternehmen liegen auf der Hand, wenn nicht mehr für jeden Mitarbeiter ein eigener Arbeitsplatz vorgehalten werden muss: die Einsparpotenziale hinsichtlich Bürofläche und Nebenkosten sind enorm. Der Mitarbeiter spart sich den Arbeitsweg zugunsten von mehr Freizeit und Lebensqualität. Was durch Covid-19 Vorschub erhalten hat, muss nun allerdings im Nachgang in neue Rahmenwerke gegossen werden, die nicht nur den Ort des Arbeitsplatzes und die Konnektivität anbelangt. Hier sind abteilungsübergreifend Experten aus verschiedenen Bereichen gefordert, neue Prozesse und Strukturen vorzugeben.

Personalführung aus der Ferne ist dabei ebenso ein Thema, wie die Leistungsbeurteilung der Teammitglieder und das Schaffen eines Klimas, in dem sich der Mitarbeiter mit seinem Unternehmen identifizieren kann. Arbeitsrechtliche Grundlagen gilt es neu zu definieren, denn wer sorgt für die Einhaltung der Arbeitszeit oder Pausen? Die IT-Abteilung ist gefordert, die notwendigen Tools für die Kollaboration zur Verfügung zu stellen und dafür zu sorgen, dass der Informationsfluss gewährleistet wird. Neben der Produktivität gilt es allerdings auch weiterhin die Sicherheit aufrecht zu erhalten, wenn Mitarbeiter aus der Ferne auf Anwendungen und sensible Daten zugreifen.

Mitarbeiterführung versus Kontrollfunktion

Treffen sich die Mitarbeiter nicht mehr täglich am Arbeitsplatz, gilt es zunächst einmal die Prozesse der Mitarbeiterführung neu aufzustellen. Eine vor Ort-Präsenz ist für das Management von Teams nicht erforderlich – dieses Prinzip leben unterschiedlichste Technologieunternehmen seit den 90er Jahren vor. An die Stelle der klassischen Kontrollfunktion durch den Abteilungsleiter tritt der SCRUM-Master als Vorbild. Das heißt, es gilt Mitarbeiter zu befähigen, die gesteckten Ziele durch einen definierten Arbeitsprozess zu erreichen. Der Mitarbeiter erhält weiterhin Vorgaben in Form des gewünschten Outputs und einer Deadline, allerdings steht ihm offen, wann und wie er die Arbeit erledigt, was dem „Working from Anywhere“-Konzept entspricht.

Natürlich benötigen virtuelle Teams genauso Organisationsstrukturen, wie Teams, die sich täglich vor Ort treffen. Das agile Arbeiten schließt beide Möglichkeiten mit ein. Entscheidend ist die Regelmäßigkeit von Teammeetings und Einzelgesprächen mit gleichbleibender Struktur. Allerdings lässt der moderne Arbeitgeber seinen Mitarbeitern die Wahl, sich virtuell oder eben auch tageweise persönlich im Büro oder Co-Working Space zu treffen und bietet dem Arbeitnehmer damit mehr Entscheidungsspielraum. Die Führungskraft muss sich bei verteilten Teams allerdings meist umstellen durch gezieltere und häufigere Kommunikation. Denn es obliegt dem Teamleader, die Distanz zum Mitarbeiter zu überwinden und damit die persönliche Kommunikation in der Kaffeeküche oder beim Mittagessen zu ersetzen.

Team-Player über Distanz

Doch um überhaupt mit anderen Kollegen kommunizieren zu können, müssen zunächst die technischen Möglichkeiten dafür geschaffen werden. Hierbei ist entscheidend, dass die IT-Abteilung lenkend eingreift und die notwendigen Tools anbietet und damit den Mitarbeitern zuvorkommt, auf inoffizielle Kanäle auszuweichen. Es gilt den Ersatz für den kurzen informellen Austausch auf dem Flur zu schaffen und dafür gibt es neben E-Mail heute eine Flut an Tools, vom Chat-Programm bis zu Webkonferenz-Lösung und Kollaborationsplattformen. Anstelle des persönlichen Smalltalks auf dem Gang tritt bei verteilt arbeitenden Teams der kurze Austausch via Chat oder Telefon.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Unternehmen, die in ihrer Digitalisierung bereits vorangeschritten waren, keine größeren Probleme damit hatten, ihre Mitarbeiter ins Home Office zu schicken. Durch Cloud-basierte Software, wie Office 365, Teams, Zoom, Slack oder Skype ist die grundlegende Infrastruktur für die Produktivität und Interaktivität der Mitarbeiter geschaffen. Neben die Bereitstellung der Technologien spielt die Bereitschaft der Mitarbeiter, die Innovationen auch anzunehmen und einzusetzen, eine entscheidende Rolle. Und hier hat COVID-19 oftmals als Katalysator in den Unternehmen fungiert. Durch den Zwang ins Home Office zu wechseln kam den Kollaborations-Tools auf einmal eine wichtigere Rolle zu. Die Hürde der Adaption neuer Technologien wurde sehr viel schneller überwunden von Mitarbeitern jeglichen Alters und jeglicher Position, da sie zur Kommunikation mit den Teammitgliedern auf diese Tools angewiesen waren. Das lebenslange Lernen im Umgang mit der Technologie einer modernen Arbeitsumgebung stellt eine der Voraussetzungen dar, sich die Grundlagen für das „Working from Anywhere“ zu eigen zu machen.

Allerdings erhalten neben der Technologie auch Social Skills bei der Teamarbeit aus der Distanz ganz neues Gewicht. Als Ersatz für die Face-to-Face Kommunikation müssen diese Skills auf die virtuelle Welt übertragen werden und beim Einsatz der Kollaborations-Tools gilt es die nötige „Netiquette“ zu wahren. Gerade wenn man sein Gegenüber nicht persönlich sieht, ist die richtige Kommunikation via E-Mail, Chat und oder Telefon elementar wichtig für ein gutes Miteinander und Teamarbeit. Niemand mag es, wenn ohne Absprache Termine in den Kalender gebucht werden, ohne vorherige Rückversicherung zur Vorgehensweise. Empathie kommt dabei eine neue Bedeutung zu ebenso wie der offenen Kommunikation, damit hier potenzielle Unruheherde verhindert werden können. Bei der Vielzahl an täglichen, virtuellen Meetings ist es außerdem wichtig, kurz und prägnant mit den gegebenen Mitteln zu kommunizieren. Denn alle Mitarbeiter müssen in der Lage sein, mit ihrem täglichen Zeitkontingent sorgsam umzugehen und Prioritäten zu setzen.

Personalabteilung 2.0

Die Veränderungen einer Remote-Arbeitswelt sind aber nicht nur individueller oder technischer Natur. Sie müssen mit ebenso massiven Veränderungen in der Personalabteilung einhergehen. Denn nun gilt es, die Maßstäbe für Performance und die Produktivität für die Bewertung der Mitarbeiter neu zu definieren. Mitarbeiter sind nun nicht mehr acht Stunden am Tag im Büro und können dementsprechend nicht mehr am reinen Arbeitspensum gemessen werden. Die Effektivität von Mitarbeitern und ihre Leistung wird sich am Output messen lassen müssen, anstelle der Präsenz im Büro.

Gleichzeitig entstehen durch die neue Flexibilität der Wahl des Arbeitsplatzes neue Risiken. Rechtliche Fragestellungen kommen auf Unternehmen zu, wenn es um die Einhaltung von Arbeitszeiten und Pausen geht. Erfahrungswerte belegen, dass Mitarbeiter eher dazu tendieren im Home Office oder auf Geschäftsreisen länger anstatt weniger zu arbeiten. Flexible Arbeitsplatzmodelle bringen also durchaus auch Nachteile bei der Messung der Effektivität mit sich. Denn letztlich ist gerade in einem globalen Arbeitsumfeld die Länge des Arbeitstags nicht mehr durch eine vorgegebene Arbeitszeit von „nine to five“ definiert, sondern durch das letzte Online-Meeting. Doch auch eine „always-on“ Generation sollte auf die nötigen Auszeiten achten und Wochenenden oder Urlaub als Auszeit akzeptieren. Wenn Mitarbeiter jederzeit erreichbar erscheinen und Nachrichten kontrollieren, entsteht schnell eine Erwartungshaltung der Verfügbarkeit, in der das Unternehmen neue Grenzen setzen muss.

Auf der rechtlichen Seite tun sich ebenfalls neue Fragestellungen auf. Ist beispielsweise der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber für die Bereitstellung der Infrastruktur im Home Office verantwortlich? oder wie sieht es mit der Haftung im Falle eines Unfalls am heimischen Arbeitsplatz aus? sind nur einige der Fragen. Der Datenschutzbeauftragte muss sich mit der IT-Abteilung abstimmen, wenn es um die Absicherung der Datenströme mobiler Mitarbeiter geht. Wenn der Mitarbeiter seine Home Office-Infrastruktur nutzt oder aber auf Reisen ist, erhält das Thema der Zugriffsabsicherung auf Anwendungen und sensible Daten neue Relevanz. Die Frage, die für Unternehmen im Mittelpunkt stehen sollte, lautet wie sie allen Mitarbeitern, unabhängig von ihrem Arbeitsort gleichbleibend hohe Sicherheit gewährleisten können, ohne dabei die Anwenderfreundlichkeit oder Zugriffsgeschwindigkeit und damit die Akzeptanz der Anwender auf’s Spiel zu setzen. Gartner rückt in seinem SASE-Rahmenwerk für das Secure Access Service Edge dabei vom klassischen Perimeter ab und geht davon aus, dass sich das „Edge“ des Netzwerks zum einzelnen Mitarbeiter hin verschiebt, dessen Datenströme beim Zugriff auf Anwendungen im Firmennetz oder in der Cloud jederzeit abgesichert sein müssen und zeigt dadurch einen möglichen Lösungsweg auf.

Positiver Ausblick: Personalgewinnung für das moderne Arbeiten

„Working From Anywhere“ geht letztendlich nicht nur mit neuen Möglichkeiten für die Mitarbeiter, sondern auch für Unternehmen im „War for Talents“ einher. Wenn es nicht mehr von entscheidender Bedeutung ist, eine Stelle vor Ort zu besetzen, öffnet sich ein sehr viel größerer Arbeitsmarkt. Der Mitarbeiter kann seine Arbeit von zu Hause aus „dem Grünen“ verrichten und gewinnt an Lebensqualität durch die Wahl seines bevorzugten Standorts. Für Unternehmen öffnet sich durch die Fernarbeit ein sehr viel größerer Pool an qualifizierten Mitarbeitern für eine Stelle, die nicht ständig am Firmensitz arbeiten müssen.

 

Kevin Schwarz ist als Director Transformation Strategy tätig und berät Kunden bei zur Digitalisierung. Er besitzt Erfahrung im Projekt- und Programm-Management und verantwortete Software-Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte in der Telekommunikation und IT-Sicherheit eines Dax-Unternehmens.

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