Kundenbeziehung: Plattformen rücken Unternehmen näher an den Menschen

Von   Markus Meyer   |  Senior Director Technology   |  Publicis Sapient
7. Mai 2020

Technologie macht die Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbrauchern wesentlich effizienter und bequemer – aber auch unpersönlicher und emotionsloser. Dadurch gehen echte Bindungen verloren und die Markentreue nimmt sukzessive ab. Eine Möglichkeit, um eine wirkliche Verbindung und Empathie wiederherzustellen, sind digitale Emotion Aware Customer Engagement-Plattformen. 
Bekanntlich entsteht Marken- und Kundentreue nur durch eine vertiefte Beziehung zwischen den Kunden und dem Unternehmen. Diese muss kontinuierlich durch die Mitarbeiter des Unternehmens gepflegt werden. Wenn Kunden aber nicht mehr direkt in Interaktion mit den Ansprechpartnern der Unternehmen treten, geht diese entscheidende Komponente verloren. Unternehmen können hier gegensteuern und ihren Kunden – auch beim Einsatz von Technologien wie Chatbots, KI und Machine Learning in den digitalen Experiences – sehr wohl eine mehr menschliche Note geben.

Echte Kundenbindung durch starke Emotionalisierung

Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Kundenbindung über digitale Kanäle liegt also darin, die digitale Interaktion zwischen Nutzer und Unternehmen stärker darauf auszurichten, dass eine emotionale Bindung entstehen kann. Dazu ist der digitale Kontaktprozess auf intelligente Art und Weise menschlicher zu gestalten und mit realen, menschlichen Kommunikationsformen zu ergänzen.

Es lohnt sich: Laut einer Studie des internationalen Marktforschungsinstituts Ipsos-Mori sind emotional engagierte Kunden drei Mal aktiver darin, ein Unternehmen weiterzuempfehlen und tätigen drei Mal öfter Wiederholungskäufe bei einer bestimmten Marke. Zudem sind diese Kunden in mehr als zwei Fünftel der Fälle markentreu und zu mehr als einem Drittel weniger preisempfindlich als nicht emotional engagierte Befragte.

Maschinen mit ihren Algorithmen haben heute aber immer noch nicht die Fähigkeit, besonders emotional intelligent zu sein, da sie nicht wie Menschen reifen. Das ist darin begründet, dass die heutige, sehr fokussierte KI den menschlichen Prozess zur Entwicklung emotionaler Intelligenz bisher nicht erlernen kann. Während wir Menschen durch die Pubertät gehen, unsere Hormonzyklen durchlaufen und hormonelle Veränderungen in Abhängigkeit von unserem Alter und unserer Umwelt durchlaufen, was uns im Laufe der Zeit emotional reifer macht, fehlt den Maschinen ein solcher Prozess.

Die Lösung: Emotion Aware Customer Engagement-Plattform

Aktuelle KI-Lösungen können jedoch gut Emotionen erkennen und damit wichtige Hinweise liefern, wann beispielsweise wieder ein Mensch in die bisher rein digitale Interaktion integriert werden sollte. Damit können Markenentscheider auf negative Emotionen und Erfahrungen des Kunden reagieren oder zur richtigen Zeit positive Erlebnisse setzen, die die Kundenbindung vertiefen. Es gilt, eine neue Plattform – eine sogenannte Emotion Aware Customer Engagement-Plattform – mit den folgenden drei entscheidenden Fähigkeiten zu entwickeln, um die Emotionen des Kunden zu verstehen und darauf in Kollaboration mit realen Client Agents zu reagieren:

  1. Neue digitale Sinne und Sensoren zur Erkennung von Kundenemotionen
  2. Fähigkeit zur Interpretation von Emotionen im konkreten Kundenkontext
  3. Emotional aufgeladene Experience-Fragmente als Angebot für den richtigen Umgang mit Kundenemotionen

1. Wie lassen sich Kundenemotionen digital erkennen

Emotionen lassen sich heute durch zwei Techniken erfassen: Erstens durch die Sensoren in mobilen Smartphones, IoT-Geräten oder Wearables. Sind diese aktiv, liefern sie einen Strom konstanter Signale. Die zweite Möglichkeit ist die Nutzung digitaler Sonden, die in Echtzeit über die Aktivitäten und Emotionen des Users informieren können.

Mobile Smartphones sind der neue sechste Sinn. Sie verfügen über eine Reihe eingebauter Sensoren und damit über die Fähigkeit, unsere Aktivitäten im realen Leben kontinuierlich zu verfolgen – vergleichbar mit Cookies und Web-Tracking, die es ermöglichen, unseren Online-Fußabdruck zu verfolgen. Mit der Fusion von mobilen Sensoren und KI lassen sich Standort, Bewegungen und Aktivitäten einer Person in Echtzeit verfolgen. Durch eine entsprechende Klassifizierung und Verhaltensmustermodellierung können diese Signale in Kundenmomente mit Bedeutung übersetzt werden, die damit den realen Echtzeitkontext sowie Kundenroutinen widerspiegeln.

Die Sensoren in den mobilen intelligenten Geräten bieten nicht nur Einblicke in den Kundenkontext. Sie ermöglichen es auch, Kundenemotionen aufzudecken, die man bei digitalen Interaktionen vermisst. Die Erfassung von Emotionen ermöglicht es, vom Kunden ehrliches Feedback bezüglich seiner Erfahrungen zu erhalten. Dank des Echtzeit-Feedbacks sind Unternehmen in der Lage, sofort proaktiv zu reagieren.

Emotionale Hinweise lassen sich in einer Vielzahl von Signalen finden, die wir als Menschen preisgeben. Sie zu messen, ist nicht allzu schwierig. Emotionen kommen beispielsweise in geschriebenen Texten, in Mimik, Sprache und Tonfall, Gestik und Körpersprache und nicht zuletzt in Körperfunktionen wie Herzschlag und Blutdruck zum Ausdruck. Unser Gesichtsausdruck verrät viel über unsere Emotionen. Mittels moderner Technologien, in Form von SaaS-Diensten, lassen sich Emotionsänderungen etwa durch die Smartphone-Kamera live erkennen.

In realen Umgebungen wie Geschäften eingesetzt können diese Technologien dazu beitragen, die On- und Offline-Welt besser miteinander zu verbinden. Ein Beispiel sind EQ-Radio-Lösungen [1]: Diese Technologie basiert auf dem Senden eines Ultraschallsignals, das vom Körper des Kunden reflektiert wird. Anhand der Reflexionen lassen sich nicht nur die Atmung der Person, sondern auch ihre Herzfrequenz messen, woraus wiederum emotionale Zustände sehr genau vorhergesagt werden können.

2. Wie lassen sich Emotionen im Kundenkontext interpretieren

Es genügt nicht, Emotionen nur zu erkennen, um daraus die richtige Aktion abzuleiten. Denn in den meisten Fällen lässt ein singuläres Signal zu viel Raum für Interpretationen. Stattdessen müssen Unternehmen ihr Verständnis des Kunden ständig überprüfen, indem sie in digitale Interaktionen mit dem Kunde eintreten und dessen Emotionen validieren und bestätigen, auch unter Zuhilfenahme des aktuellen Kontexts des Kunden.

Als Rahmen für das Verständnis des Kundenkontextes müssen Experience-Designer die sechs W-Fragen (Wer? Was? Wo? Wann? Wie? Warum?) für jeden Kunden und zu jeder Zeit bestmöglich beantworten.  Die Ergebnisse liefern einen guten Kontext und eine stringente Interpretation der Situation des Kunden.

Um die sechs Ws zu modellieren, die den Kontext eines Kunden repräsentieren, sollten Designer dann eine hierarchische Pipeline entwickeln. Auf der untersten Ebene werden Sensordaten sowie weitere Ereignissignale, die das Kundenverhalten und emotionales Feedback beschreiben, eingespeist. Auf der obersten Ebene wird ein umfassendes Benutzerprofil ausgegeben. Zwischenschritte übersetzen die granularen Signale in aussagekräftigere Ereignisse und darauf aufbauend, diese Ereignisse in Momente, auf die Entscheider reagieren können.

Häufig kann das Profil eines Kunden als Vorwissen dienen, wenn man versucht, ein Ereignis aus „verrauschten Daten“ (Noisy Data) abzulesen. Wenn beispielsweise ein Klassifikator unsicher ist, ob ein Kunde derzeit auf der Suche nach einer neuen Autoversicherung ist, erlaubt das Profil des Nutzers der Künstlichen Intelligenz, sein vergangenes und damit erwartetes Verhalten zu berücksichtigen. Die nachfolgende Kontextpyramide veranschaulicht, wie ein relevantes Profil eines Kunden entsteht, das alle emotionalen und andere Signale in einen großen relevanten Kundenkontext setzt.

3. Wie wir auf Emotionen richtig reagieren

Die heutigen digitalen Customer Experiences sind häufig noch sehr statisch. Unternehmen müssen stattdessen über Experience-Module und -Fragmente nachdenken, die je nach Kontext das passende Angebot für den Kunden bereitstellen. Denn gerade im „Moment of Truth“, in dem der Kunde sehr emotional reagiert – gleich ob positiv oder negativ – ist es wichtig, den Unterschied in der Interaktion zu machen. Das ist das Ziel einer innovativen Emotion Aware Customer Engagement-Plattform.

Bei diesen Experience-Modulen und -Fragmenten handelt es sich im Wesentlichen um Interaktionsangebote an den Kunden. Es geht darum, dem Kunden im „Moment of Truth“ mit der richtigen Tonalität ein Angebot zu machen, das ihm weiterhilft oder validiert, dass die Vermutung bezüglich seiner Situation richtig ist. Damit ähneln diese Experience-Module und -Fragmente den heute bereits eingesetzten Chat-Bot-Lösungen, die den Fluss eines Dialogs abbilden und die Intention des Kunden in einer Konversation versteht. Für die Emotion Aware Customer Engagement-Plattform wird das Erkennen der Kundenintention um die Interpretation des Kontexts und der gezeigten Emotionen erweitert. Darauf basierend lassen sich noch konkretere Konversations- oder Hilfe-Angebot machen. Die Plattform kann zu jeder Zeit erkennen, wann die Übergabe an einen menschlichen Client Agent notwendig wird. Das Ziel der Lösung ist nicht, Kundeninteraktionen zu hundert Prozent digital zu gestalten. Ihre Aufgabe ist es, im richtigen Moment zu erkennen, wann die Interaktion zwischen zwei realen Menschen zu initiieren ist. Bis Maschinen sich wie reale Menschen verhalten, ist dies unbedingt notwendig.

Die aufgezeigten Möglichkeiten für Unternehmen, ihre Kunden digital persönlicher und emotional transparenter kennen zu lernen, decken sich nicht zwingend mit dem Wunsch aller Kunden. Denn diese geben dadurch einen Teil ihre Privatsphäre auf. Niemand will sich wie die Bürger in George Orwells Roman 1984 fühlen, in dem der fiktive Charakter Big Brother seine Bürger als Führer eines totalitären Staates ständig überwacht.

Während die Vorteile der Sammlung möglichst vieler Kundensignale für Unternehmen auf der Hand liegen, sollte man das Maß an Vertrauen und Intimität nicht unterschätzen, das Kunden von Unternehmen verlangen. Darüber hinaus unterliegt eine Sammlung solcher Information auch rechtlichen Vorschriften – und selbstverständlich der Zustimmung des Kunden. Diese werden nicht dazu bereit sein, ihre detaillierten Kontextinformationen zu teilen, wenn für sie dadurch kein Mehrwert entsteht. Diejenigen Unternehmen, die das respektieren und entsprechend transparent handeln, werden die Informationen im vollen Einvernehmen erhalten und dadurch in der Lage sein, echten Mehrwert für die Nutzer und sich selbst zu schaffen. Sie werden dadurch befähigt, den tatsächlichen situativen und emotionalen Kontext ihrer Kunden zu nutzen, um sich zum richtigen Zeitpunkt proaktiv mit ihnen von Mensch zu Mensch zu verbinden. In der eher unpersönlichen digitalen Welt können Marke und Verbraucher so wieder emotional näher zusammenrücken.

So erfährt Amazon etwa in der Amazon Echo Look-Anwendung [2] mit voller Zustimmung des Kunden mehr über dessen Vorlieben, während dieser einen Tipp bekommt: Teilt der Nutzer etwa das Foto eines Outfits, das er trägt, erhält er einen Vorschlag für weitere passende Kleidungsstücke. Für den Kunden ist es offensichtlich, wie Amazon den eigenen Kontext nutzt. Was Amazon in diesem Anwendungsfall noch nicht macht, ist das Einfangen der Emotionen auf Basis des Gesichtsausdrucks, während die App genutzt wird. Die meisten Kunden würden das aber sicherlich akzeptieren, wenn es transparent geschieht und dazu dient, das Einkaufserlebnis bequemer zu gestalten.

In Zukunft können Unternehmen, die auf das Erkennen der Emotionen ihrer Kunden setzen, wesentliche Vorteile für sich nutzen und so dem vertrauten Kundenerlebnis in einem traditionellen Ladengeschäft wieder näherkommen. Dabei unterstützt sie eine Emotion Aware Customer Engagement-Plattform, die alle Informationen und Emotionen der Verbraucher zusammenführt und für die Ansprache nutzbar macht. Die Kombination aus KI, Algorithmen und weiteren innovativen Technologien ist dazu unerlässlich.

Quellen und Referenzen:

[1]http://news.mit.edu/2016/detecting-emotions-with-wireless-signals-0920

[2]https://www.heise.de/newsticker/meldung/Echo-Look-Amazons-Alexa-Kamera-fuer-Modebewusste-3698219.html

Markus Meyer ist Senior Director Technology beim Beratungshaus Publicis Sapient und leitet die Marketing Platform Practice in der DACH-Region. In seinen aktuellen Kundenprojekten spielt die intelligente Nutzung von Kundendaten in Verbindung mit Advanced Machine Learning eine entscheidende Rolle.

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