Künstliche Intelligenz und Quantencomputing: Eine natürliche Trendwende?

Von   Annie Bailey   |  Analyst   |  KuppingerCole Analysts AG
11. Dezember 2019

Quantencomputing ist neben künstlicher Intelligenz (KI) ein weiterer Technologiefortschritt, der einst unmöglich schien, aber heute bereits Teil unserer Realität ist. Viele Menschen begegnen diesen Technologien mit Skepsis oder gar Vorurteilen, was nicht selten an einem Mangel an Informationen liegt. Infolgedessen werden diese Technologien oft als unnatürlich und unheimlich wahrgenommen und stoßen auf Ablehnung. Aber die nächste Welle der digitalen Transformation sollte nicht als feindliche Übernahme durch futuristische Konzepte wahrgenommen werden.
Quantencomputer funktionieren nach den Gesetzen der Physik, indem sie sich Quantenobjekte zunutze machen, die in der natürlichen Welt allem aktiv sind. Daher zerstören Quantencomputer nicht die Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum berechnen und baut sie neu auf, sondern sie ermöglichen es uns, die physikalischen Gesetze als Modell für die Datenverarbeitung zu nutzen. Folglich vergrößert sich durch Quantencomputing nicht die Distanz von der digitalen zur physischen Welt, sondern wir entwickeln Geräte, die dabei helfen, die beiden Welten in Einklang zu bringen.

Mit Quantencomputern können Berechnungen in Sekunden verarbeitet werden, die einen klassischen Computer mehrere Hunderte Jahre beanspruchen würden. Höhere Rechenleistung ist hierbei natürlich eine messbare Bereicherung, aber sie ist bei weitem nicht die revolutionärste Eigenschaft des Quantencomputings. Die Revolution liegt vielmehr darin, dass wir durch Quantencomputing die Gesetze der Physik auf die digitale Welt anwenden können und diese so ebenso vielfältig wie das Leben selbst werden kann.

Das binäre Spiel

Da das Leben unser Vergleichsmaßstab ist, wollen wir die Art des Lebens vergleichen, die uns am vertrautesten ist. Als Mensch ist es überraschend schwer, eine Frage mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Oft suchen wir nach einem Vielleicht, das unserer Antwort einen Kontext gibt. Würdest du den letzten Keks vom Teller nehmen? Ja, aber nur, wenn ich die einzige Person im Raum wäre. Dies ist ein vereinfachtes Beispiel für die Komplexität von Entscheidungen, aber eines, das noch kein zufriedenstellendes Modell bietet. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten, um sie alle zu berücksichtigen, wodurch wir niemals zu dem sagenumwobenen „rationalen Wesen“ werden, das wir gerne wären.

Klassische Computer arbeiten binär, was bedeutet, dass sie Informationen als Ja oder Nein beziehungsweise als Nullen und Einsen verarbeiten. Da wundert es nicht, dass klassische Computer nur mangelhaft Szenarien im Voraus berechnen können. Eine starre Antwort wie Ja oder Nein, An oder Aus, 1 oder 0 ist zu endgültig, um Raum für die Varianz und Zufälligkeit zu lassen, durch welche sich die physikalische Welt auszeichnet.

Ja, Nein, Vielleicht

Quantencomputer haben die Fähigkeit, Vielleicht zu sagen. Auch hier vereinfachen wir der Anschaulichkeit halber wieder. Ein Qubit hat eine gewissen Wahrscheinlichkeit 0 oder 1 zu sein. Diese sogenannte Superposition der Qubits kann zwei der unendlichen Abstufungen zwischen 1 und 0 gleichzeitig annehmen und wird erst offenbart, wenn sie gemessen wird. Den Implikationen hieraus widmen wir uns später genauer. Für den jetzigen Moment stellen wir uns lediglich vor, wie viel mehr es dem echten Leben entspricht, die Unsicherheit zu akzeptieren, bis ein Ereignis eintritt. Das Ergebnis könnte dieses oder jenes sein, 0 oder 1, aber wir wissen es erst, wenn es passiert.

Quantencomputing bringt uns an eine neue Grenze. Bis vor wenigen Monaten war die höchste Rechenleistung ein Digital Native, geboren und aufgewachsen in einer Zeit, in der das binäre Modell regierte. Es fußt auf anderen Prinzipien als die natürliche Welt, was einige Vorteil mit sich bringt, aber eine grundlegende Trennung von physikalischer und digitaler Welt voraussetzt. Jetzt, da erste Quantencomputer öffentlichkeitswirksamen Tests unterzogen werden, übertreten wir eine neue Schwelle: Quantencomputer, die physikalischen Gesetzen unterworfen sind.

Das Spiel der Natur

Es gibt weitere Eigenschaften von Quantencomputern, die an dieselben Gesetze gebunden sind wie die Quantenphysik und somit an die Gesetze der Naturwissenschaft. Die sogenannte Verschränkung (engl. Entanglement) ist eines davon. Verschränkung beschreibt das Phänomen, dass Qubits immer in Kombination verarbeitet werden und nicht unabhängig voneinander beschrieben werden können. Ihre Kräfte wirken so stark auf einander ein, dass die Entfernung keinen Effekt darauf hat. Forscher arbeiten immer noch an einem besseren Verständnis des mysteriösen Phänomens der Verschränkung.

Aber sinnbildliche Verschränkung betrifft auch uns als Menschen: Unsere Interaktionen benötigen Kontext, bevor so tun können, als würden Situationen in ihrer Gänze verstehen. Wie fühlst du dich heute? Besser als gestern. Ein Bezugspunkt ist immer direkt mit unseren Messungen oder Vergleichen verbunden, und zwar unabhängig von Zeit oder Entfernung. Die Kraft einer Kindheitserinnerung kann uns heute noch genauso stark beeinflussen, wie vor 20 Jahren, oder ein Wort kann eine komplett andere Konnotation haben als in dem Kontext, in dem es benutzt wurde. In der Natur beobachten wir das Prinzip von Ursache und Wirkung aber im Quantencomputing kann dieses Konzept in seiner komplexesten Ausprägung genutzt werden, um zu verstehen, wie Quantenobjekte sich gegenseitig beeinflussen.

Viele Forschungsgruppen haben auf erstaunliche Weise dazu beigetragen, die Gesetze der Natur im Sinne der Rechenleistung zu nutzen. In den vergangenen Monaten haben wir die Enthüllung erster Quantencomputer beobachten können und dürfen auf die darauffolgende Entwicklung und Verbesserung gespannt sein. Noch nie zu vor waren wir so nah dran, Rechner zu besitzen, die auf Basis der Naturgesetze funktionieren und diese nicht bloß nachahmen. Aber was ist mit dieser anderen Technologie, die den Naturgesetzen folgen sollte?

Was ist mit künstlicher Intelligenz?

Seit ihrer Gründung war das Ziel der künstlichen Intelligenz (KI) die Schaffung einer digitalen oder robotischen Kraft, die mit einer ihr innewohnenden Intelligenz agiert. Aber die KI ist seit ihrer Gründung „engen“ Funktionsmustern unterworfen. Diese Muster ermöglichen es KI-basierten Tools nur, die menschliche Logik nachzuahmen, anstatt von Natur aus auf eine menschliche Art der Datenverarbeitung zuzugreifen. KI-Tools verbessern sich zwar, aber sie sind in einer Schleife gefangen, innerhalb derer sie die Nachahmung eines Algorithmus zur Intelligenz verbessern. Trotz zunehmender Investitionen und Forschung sind KI-Instrumente nach wie vor nicht in der Lage, intuitiv, intelligent und wirklich unabhängig zu handeln, und so bedeutende Fortschritte auf dem Weg zur Artificial General Intelligence (AGI) zu machen.

Die sogenannte Narrow AI entwickelt sich nicht hin zu einer AGI, weil sie nicht nach den Gesetzen der Natur, sondern denen der digitalen Welt programmiert ist. Mit dieser grundlegenden Einschränkung wird kein AI-Tool jemals den Konstruktionsfehler überwinden, künstlich zu sein. Trotz der erstaunlichen Fortschritte, die Forscher im Bereich der KI erwirken konnten, imitieren KI-Anwendungen lediglich die Eigenschaften menschlicher Intelligenz, sind aber nicht durch eine solche gesteuert. Auch wenn Quantencomputing noch im Anfangsstadium ist, birgt es das Potenzial, künstlicher Intelligenz den Sprung von Narrow zu AGI zu ermöglichen. Indem wir Algorithmen auf einer Maschine ausführen und trainieren, die nicht grundlegend künstlich ist, können wir vielleicht mehr Aspekte der natürlichen Welt in die von uns entwickelten KI-Akteure integrieren. Ein Teil des Wettlaufs um die Entwicklung von Quantencomputern wird die Entwicklung komplementärer Lösungen für Quantencomputer, maschinelles Lernen und andere Optimierungsanwendungen sein.

Was Quantencomputing für KI tun kann

Quantenbetriebene neuronale Netze sind vielleicht der stärkste Anwendungsfall, um die Lücke zwischen Narrow und AGI zu schließen, indem man die natürlichen physikalischen Eigenschaften nutzt. Quantenneuronale Netze nutzen Quantenzustände sowohl im Eingang als auch im Ausgang einzelner Neuronen, wobei ein Qubit wie ein Neuron wirkt. Die frühen Phasen solcher Untersuchungen haben zu Ergebnissen geführt, wie

  • der Definition von Ähnlichkeiten zwischen quantenneuronalen Netzen und der Schwerkraft als negativer interaktiver Energie.[1]
  • der Definition des Potenzials, die Renormierung in faltungsneuronalen Netzen für eine kompakte Quantenschaltung zu nutzen.[2]
  • eine direkte Übertragung klassischer Bildklassifikationsaufgaben an Quantencomputer übertragen werden könnte.[3]

Die Schaffung einer künstlichen allgemeinen Intelligenz auf der Basis natürlicher Prinzipien kann anders aussehen, als wir es erwarten. Menschliche „Schöpfer“ oder Entwickler werden den AGI-Tools womöglich Fähigkeiten einverleiben, die unseren ähneln. Aber diese Denkweise beschränkt die Werkzeuge, die wir entwickeln, darauf, dass sie in menschlicher Gestalt geschaffen werden. Quantencomputing könnte maschinelle Lerntechniken von der menschlichen Aufsicht und Einschränkung befreien, um unbeaufsichtigte Lerntechniken zu verbessern.

Was KI und Weizen gemeinsam haben

Ein faszinierendes Experiment mit klassischen Computern und Narrow-KI-Algorithmen führte zu einem überraschend natürlichen Ergebnis: Als ein simulierter Roboter damit beauftragt wurde, die schnellste Art und Weise zu lernen, eine definierte kurze Strecke zu überwinden, wurde er einfach sehr groß und fiel dann um. So erfüllte er seine Aufgabe nicht durch Gehen, Springen, Rollen oder Fliegen – vielleicht das, woran Menschen denken würden – sondern durch etwas scheinbar Unbrauchbares. Die Forscher waren amüsiert, aber verblüfft, bis ein Biologe Wind von den Versuchen bekam und ein faszinierendes Feedback gab: Dass sich der simulierte Roboter genauso verhielt wie Weizen zur Vermehrung, perfektioniert über Jahrtausende hinweg. Der Zugang zu diesen nicht-menschlichen, aber natürlichen Lösungen ist ein Aspekt, den Quantencomputer verbessern könnten, außer dass Quantencomputer nicht nach der Biologie funktionieren, sondern nach den Wechselwirkungen von Quantenobjekten.

Die Simulation von Naturphänomenen hat mit Quantencomputern ein enormes Potenzial, insbesondere was chemische Strukturen und Moleküle betrifft. Die physikalischen Eigenschaften der Moleküle machen sie für klassische Computer unpraktisch, z.B. die Tendenz eines einzelnen Elektrons, sich durch Überlagerung in mehrere Richtungen zu drehen. Dies bietet massive Vorteile für die Quantenchemie, den Gesundheitssektor, die Pharmazie sowie die landwirtschaftliche und geologische Forschung. Bereits jetzt kommen neue Geschäftsmodelle auf den Markt, die individuelle Gesundheitslösungen auf der Grundlage des Genoms und der Phänomene eines Patienten anbieten, die in ein 2-Qubit-System eingegeben wurden, um maßgeschneiderte Behandlungen zu entwickeln.

Der Sprung zur künstlichen allgemeinen Intelligenz

Das sogenannte Quantenglühen und universelles Gate-Quantencomputing sind ergänzende Werkzeuge für Narrow KI, schaffen aber auch die Voraussetzungen für die Überarbeitung von Kernstrukturen von KI-Algorithmen, um die Transformation in AGI zu ermöglichen. Das Glühen nutzt die wachsenden Fähigkeiten eines Quantencomputers, um Optimierungsprobleme in einem Bruchteil der Zeit zu lösen, die klassische Computer benötigen würden. Dies öffnet die Tür für die Verarbeitung größerer Mengen an komplexeren Datenpunkten zur Bearbeitung präziserer Fragen.

Universal Gate Computing konzentriert sich auf die Manipulation verschiedener Quantenzustände, um kundenspezifische Sequenzen zu erstellen, die sich besser für die Simulation und Durchführung von Vorhersageaufgaben eignen. Obwohl diese getrennten Zweige im Quantencomputer große Erfolge erzielt haben, tragen ihre direkten Anwendungen zu engen KI-Aufgaben bei.

Die Entwicklung von quantenneuronalen Netzwerken wird bei der Schaffung einer neuen Logik nützlich sein, die ursprünglich in der physikalischen Welt für AI-Anwendungen fußt. Durch das Vorantreiben dieser Entwicklung, könnte eine neue Welle der künstlichen Intelligenz entstehen, die uns einen Schritt näher an die AGI bringt.

Fazit

Die meisten Quantencomputer-Forschungsprojekte konzentrieren sich auf die Nutzung der Geschwindigkeit, die das Quantencomputing bringt. Aber der Wandel von einer digitalen Gesetzgebung hin zu einer natürlichen könnte die grundlegende Transformation sein, die notwendig ist, um von der Narrow zur allgemeinen KI zu gelangen.

 

Quellen und Referenzen:

[1] https://arxiv.org/pdf/1801.03918.pdf

[2] https://phys.org/news/2019-09-quantum-convolutional-neural-networks.html

[3] https://arxiv.org/pdf/1802.06002.pdf

 

 

Annie Bailey beschäftigt sich als Analystin mit neuen Technologien und ist überzeugt, dass aktuelle ökologische und gesellschaftliche Probleme mit integrativem Wachstum gelöst werden können. Ihre jüngste Forschung befasst sich mit der sich wandelnden Rolle von Innovationen in NPOs und Smart Cities.

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