Digitalisierung im Mittelstand braucht einen neuen Beratungsmodus

Von   Nicolas Escherich   |  Managing Partner/Vorstand   |  Ray Sono
19. Dezember 2018

Woran liegt es eigentlich, dass die Digitalisierung im Mittelstand eine wirklich große Herausforderung ist? Einsicht und Investitionswille sind beim Mittelstand doch vorhanden – was fehlt, sind oftmals schlichtweg die fachlichen Kompetenzen vor Ort, um das Paket Digitalisierung erfolgreich zu schnüren. Hier kommen Berater und Digitalagenturen ins Spiel. Was sich aber immer stärker zeigt: Von den klassischen Beratungsmodellen profitiert der Mittelstand eher selten. Wer Digitalisierung im Mittelstand ernst nimmt, muss sich daher auf einen tief greifenden Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit mit beratenden Unternehmen einlassen.

Warum Digitalisierung im Mittelstand einen neuen Beratungsmodus braucht

Eine aktuelle IDC-Studie zeigt, dass in mehr als 80 Prozent der Unternehmen Fachkräfte wie Entwickler, KI-Spezialisten oder Data Scientists fehlen – und das nicht nur an Standorten weit abseits der Großstädte, sondern auch in Ballungszentren.

Hier füllen Berater und Digitalagenturen die Know-how-Lücke, bieten wertvolle Ressourcen und treiben so die Digitalisierung voran – bei großer personeller Skalierbarkeit für den Auftraggeber. Doch dieses Modell hat einen Haken. Oft ziehen sich Berater zu schnell wieder zurück: Projekt beendet, Job erledigt, Rechnung gestellt, Haken dran.

Wer profitiert davon am meisten? Vor allem die Berater selbst, die mit jedem neuen Projekt wertvolle Erfahrungen und Praxiswissen sammeln. Das neu erworbene Wissen marschiert buchstäblich zur Tür hinaus, die Mittelstandskunden bleiben ratlos zurück und beginnen im schlechtesten Fall wieder bei null. Ich bin überzeugt: Digitalisierung im Mittelstand gelingt nur, wenn der Beratungsmodus konsequent umgeschaltet wird. Wenn es in der Zusammenarbeit zwischen Digitalagentur und Unternehmen um die Chance geht, Prozesse langfristig zu planen und aufzubauen, mit einer gezielten Ausbildung interne Kompetenzen zu entwickeln und sich als Beratung schrittweise überflüssig zu machen.

Was ein Paradigmenwechsel im Beratungsverständnis bewirken kann

Ich sehe gleich sieben überzeugende Gründe für einen dringenden Paradigmenwechsel in der Beziehung zwischen Digitalagentur und Mittelstand.

  1. Die für das Unternehmen spezifische Situationsanalyse und Lösungsansätze können auf einem ganz anderen Fundament entwickelt werden. Statt oberflächlichem Austausch über Unternehmensziele, Prozesse und Daten können Zukunftsmodelle von Grund auf gemeinsam gedacht und geplant werden. Denn: Die Berater wissen, dass sie kein Projekt abliefern, sondern den Kunden kurz- und mittelfristig begleiten und zugleich befähigen, den strategisch sinnvollen Weg weiterzugehen.
  2. Die Qualität der Arbeitsergebnisse wächst rasant: Statt ein definiertes Projektziel zu erreichen, ist das gemeinsame Ziel die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens – vom Geschäftsmodell, über das Leistungsportfolio bis hin zur Kundenschnittstelle. Ein neuer Beratungsmodus steht sowohl für Prototyping und direkte Umsetzung als auch für die kritische Begleitung und kontinuierliche Anpassung an neue Technologie- und Marktoptionen.
  3. Ein zukunftsorientierter Beratungsmodus schließt das Knowledge Sharing von Anfang an ein. Es geht nicht darum, Abhängigkeiten aufzubauen, sondern alle Barrieren zu beseitigen, die die selbstständige Weiterentwicklung des Unternehmens hemmen könnten.
  4. So entsteht im Kontext der Digitalisierung ein echter Wissens- und Kulturtransfer zwischen Beratung und Mittelstand. Er ist der Garant für den Austausch kreativer Ideen und innovativer Lösungsansätze – ob strategisches Set-up oder operative Umsetzung. Eine erfolgreiche Digitalisierung braucht langfristige Beziehungen, einen dauerhaften Wechsel im Mindset, eine vorausschauende, belastbare Strategie. Sie braucht Menschen, die den Weg bereiten, Wissen vermitteln, motivieren und Dinge infrage stellen – aufseiten der Agentur, aber auch im Unternehmen.
  5. In dieser Transformation übernehmen zukunftsorientierte Beratungen einen aktiven Part, um beim Kunden vor Ort Kompetenzen aufzubauen, Jobprofile neu auszurichten und funktionierende Lösungen für die Arbeitspraxis zu entwickeln. Denn das ist entscheidend: Das Kundenunternehmen muss befähigt werden, die nächsten Wegstrecken im kontinuierlichen digitalen Wandel selbstständig zurückzulegen.
  6. Dieses Modell der Zusammenarbeit basiert auf der Überzeugung, dass Digitalwissen dann seine Gestaltungskraft entfaltet, wenn es auf menschliche Inspiration zu Arbeitsweisen und Themendurchdringung setzt. Es geht darum, dass Unternehmen und digitale Berater sich auf Augenhöhe begegnen, ehrlich und nachhaltig ausgerichtet miteinander arbeiten. Und dass partnerschaftlich Konzepte erarbeitet werden, mit denen sich Unternehmen identifizieren können und bei denen sie nicht das Gefühl haben, mit abgehobenen, aber am Ende wenig praktikablen Lösungen einen schlechten Handel eingegangen zu sein.
  7. Last, but not least: Ein zukunftsorientierter Beratungsmodus überzeugt in Fragen von „Operational Excellence“. Aber das ist keine Black Box, sondern es wird dem Kunden transparent gemacht. Denn nur auf diese Weise profitiert er von der Beratung und zieht für sich das Beste daraus: die Entwicklung eigener Kompetenzen.

Dieser Beratungsmodus steht für das Konzept des Digital Incubators. Den Begriff Inkubator kann man hier wörtlich nehmen: Er bietet die idealen Bedingungen für Austausch, kreative Ideen und innovative Lösungsansätze – bis hin zu deren Umsetzung. Erklärtes Ziel des Digital Incubator-Modells ist es, dass ein Unternehmen langfristig von den Beratungsleistungen profitiert, das gewonnene Know-how immer mehr nach innen verlagert und parallel die Agenturleistung nach und nach reduziert. Nur so kann gesunde, autarke und langfristige Digitalisierung im Mittelstand funktionieren.

Verlange ich damit, dass Agenturen sich selbst abschaffen sollen? Keineswegs! Wofür ich plädiere, ist ein Umdenken auf Agentur- und Beraterseite. Nie hatte man als Agentur mehr Möglichkeiten bei der Mitgestaltung von Kernthemen und Prozessen eines Unternehmens. Nie konnte man durch die erbrachte Leistung mehr bewegen. Es ist Zeit, dass wir dafür neue, glaubwürdige und tragfähige Beratungsformate etablieren.

Nicolas Escherich, zuvor Head of Direct Marketing und Product Communication von Lufthansa, wechselte 2013 als Managing Partner zu Ray Sono. Seit 2017 führt er in seiner Position als Vorstandsmitglied die Agentur gemeinsam mit Thomas Helbing und Thomas Fehr.

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