Künstliche Intelligenz: Möglichkeiten und Grenzen

Von   Jürgen Wirtgen   |  Data Platform Lead   |  Microsoft Deutschland GmbH
12. Juli 2018

Viele Menschen fasziniert die Frage „Können Maschinen denken?“. Die Antwort hängt vor allem davon ab, wie wir den Begriff „denken“ interpretieren.Wenn von künstlicher Intelligenz (KI) die Rede ist, fallen häufig auch Begriffe wie Machine Learning und Cognitive Services. Sie sind wichtig um zu verstehen, wie Maschinen „ticken“, wenn sie uns mit ihren intelligenten Fähigkeiten besser machen. Gleichzeitig zeigen Sie auch auf, was KI kann und was (noch) nicht.
Im Grunde genommen bezeichnet Machine Learning die Fähigkeit von Maschinen, aus Daten Erkenntnisse zu gewinnen. Didaktisch passiert das heute in der Regel noch über menschliche Anleitung, die einem Algorithmus zum Beispiel den Inhalt von Bildern ein- oder mehrfach vermitteln, bevor Algorithmen selbständig in der Lage sind, Inhalte zu klassifizieren.

Cognitive Services bringen Maschinen sinnliches Erleben bei: Diese sind dann in der Lage Bilder, gesprochene oder geschriebene Wörter, Stimmungen und demnächst vielleicht auch Gerüche und sensitive Eindrücke zu erkennen. Cognitive Services können Sensordaten von Maschinen oder aus dem Smartphone aufnehmen und an Algorithmen weitergeben, die durch Machine Learning diese Daten verarbeiten. Ist das Intelligenz im menschlichen Sinne? Eher nicht, denn wirklich autark im Denken und in der Entscheidungsfindung sind Maschinen damit nicht. Aber wenn wir aufhören maschinelle mit menschlicher Intelligenz gleichzusetzen oder auch nur zu vergleichen, dann bleiben erstaunliche und bahnbrechende Möglichkeiten, wie Mensch und Maschine im Alltag ein unglaubliches Team bilden können.

Von DNA-Analsen über Katastrophenvorhersage bis zur prädiktiven Wartung: Das kann KI


So können Algorithmen zum Beispiel in der Genforschung eingesetzt werden, indem sie rasend schnell in Milliarden von Datensätzen Auffälligkeiten finden, die auf Gendefekte oder Krankheiten hindeuten. Damit lässt sich der zeitliche Aufwand für solche Analysen von Wochen auf Minuten reduzieren. In der Vorhersage von Katastrophen auf der Basis großer Mengen von Wetterdaten oder hochauflösende Satellitenbilder funktioniert das gleiche Prinzip. Und bei der Suche nach Angriffen auf IT-Infrastrukturen im fortwährenden Strom von Netzwerkdaten kann KI mit diesen Fähigkeiten besser helfen, als herkömmliche Methoden.

Auch in der Industrie kommt KI zum Einsatz: Hier können Algorithmen den Wartungszustand von Maschinen und Anlagen kontrollieren und vorausschauend eingreifen, bevor ein Schaden und mithin Stillstand oder Ausfallzeiten entstehen. Auf diese Weise lassen sich Maschinenlaufzeiten deutlich optimieren und Kosten für Wartung und Reparaturen einsparen.

Gleichzeitig entstehen ganz neue Geschäftsmodelle, wie das Beispiel von thyssenkrupp Elevator zeigt: Das deutsche Unternehmen hat seine weltweit mehr als 1,1 Millionen Aufzüge mit einer prädikativen Wartungslösung ausgestattet, über die thyssenkrupp größere Zuverlässigkeit und Sicherheit und bessere Verfügbarkeit garantiert. Machine Learning und Sensoren sind wesentlicher Teil dieser Lösung.

KI kann vieles, aber nicht alles

Wenn Unternehmen über den Einsatz von KI nachdenken, werden sie möglicherweise auch an die aktuellen Grenzen bei der Entwicklung von KI stoßen. Die liegen aber interessanterweise nicht ober-, sondern unterhalb einer gewissen Komplexitätsgrenze. Anders gesagt: Für einfache und unterkomplexe Zähl- oder Sortieraufgaben in starren Systemen lohnt sich der Einsatz von KI nicht.

Je komplexer jedoch Prozesse und Aufgaben sind, desto mehr eignet sich Künstliche Intelligenz: Wer zum Beispiel den nicht enden wollenden Strom von Content aus den sozialen Netzwerken automatisch nach dem kleinen, aber für ein Unternehmen wichtigen Teil an brauchbaren Informationen scannen will, kann das so genannte Natural Language Processing (NLP) einsetzen. NLP destilliert aus geschriebenener und gesprochener Sprache bestimmte Inhalte.

Sprachverständnis ist auch in anderen Zusammenhängen wichtig: So können Chatbots zum Beispiel den Kundenservice bei bestimmten Aufgaben entlasten: Der Microsoft-Service LUIS kann zum Beispiel einen Flug buchen, Pizza bestellen oder die nächste Kneipe in der Nähe suchen und als Chatbot mit seinen Nutzern kommunizieren.

In der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel kümmert sich der Behörden-Bot Govii in der ersten Reihe um die Belange der Bürger. Warum? Weil er rund um die Uhr verfügbar ist und so die Mitarbeiter für komplexere Aufgaben eingesetzt werden können, die einen noch besseren Bürgerservice ermöglichen.

Intelligenter Alltag: KI ermöglicht Teilhabe

Intelligente Maschinen, Algorithmen, Roboter – das ist nicht nur was für Unternehmen. Sie kommen auch in unserem Alltag zum Einsatz und können zum Beispiel Menschen mit Beeinträchtigungen unterstützen:

Seeing AI ist eine bei Microsoft entstandene Smartphone-App, die blinden und visuell eingeschränkten Menschen ihre unmittelbare Umgebung beschreibt: Taucht eine (bekannte) Person im Blickfeld auf, ein Hindernis oder ein unbekanntes Produkt? Was steht auf dem Beipackzettel und wieviel Geld habe ich in der Hand: All das sind Alltagsaufgaben, die Seeing AI schon erledigen kann. Sie verbessert damit zu einem großen Stück die Teilhabe von blinden und visuell eingeschränkten Menschen.

Project Emma geht auf die Grafikdesignerin Emma Lawton zurück, bei der im Alter von 29 Jahren Parkinson diagnostiziert wurde. Das mit der Krankheit verbundene Zittern der Hand drohte sie zur Invalidin zu machen. Microsoft Research entwickelte ein kleines Gerät für das Handgelenk, dass den Tremor über Sensoren misst und mit Vibrationen ausgleicht. So kann Emma die Fertigkeiten ihrer Hand trotz Parkinson weiter nutzen und ihren Beruf weiter ausüben.

KI kann die Welt ein Stück besser machen – wenn wir es richtig anstellen

Um das Leben von weltweit mehr als einer Milliarde Menschen mit Beeinträchtigungen mit KI zu verbessern, hat Microsoft zuletzt auf der weltweiten Entwicklerkonferenz Build 2018 im Mai die Initiative AI for Accessibility gestartet. Das Programm ist mit einem Volumen von mehr als 25 Millionen US-Dollar auf fünf Jahre ausgelegt und umfasst finanzielle Unterstützung für KI-Forscher und -Entwickler sowie Universitäten und NGOs.

AI for Good unterstützt KI-Projekte für nachhaltigen Umweltschutz, bessere Bildung oder den Kampf gegen verheerende Krankheiten.

Alles in allem, hat KI das Potenzial, unsere Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Wir werden in Zukunft sicher nicht weniger arbeiten, aber weniger gefährliche, dreckige oder eintönige Arbeiten ausführen. Dadurch haben wir mehr Zeit für kreative, komplexe oder soziale Tätigkeiten. Wichtig ist nur, dass wir künstliche Intelligenz aktiv gestalten, ethische Prinzipien definieren und nicht darauf bauen, dass andere das tun.

Jürgen Wirtgen ist Data&AI Lead bei Microsoft Deutschland GmbH. Hier ist er seit 2016 für den Erfolg der Microsoft Dataplatform Dienste und Produkte verantwortlich. Vor seiner Anstellung bei Microsoft war Jürgen Wirtgen als Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg tätig.

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