IoT – realer Hype oder eine neue Blase?

Von   Donald Wachs   |  globaler Leiter Manufacturing   |  BearingPoint
  Yilmaz Tüfekci   |  Senior Manager   |  BearingPoint
28. Februar 2018

Die Digitalisierung schreitet mit großen Schritten voran. Wir sehen an den Beispielen von unserem Partner GE und vielen unserer Kunden, wie innovative Vorreiter die digitale Agenda definieren und umsetzen. Das Potential der Digitalisierung und die Auswirkung auf die neuen, teilweise disruptiven Geschäftsmodelle, lässt sich nach heutigem Stand nur erahnen. Unsere Kunden müssen sich der Tatsache stellen, dass die technologische Umwälzung nicht mehr aufzuhalten ist. Um im Markt zu bestehen, müssen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten aufgebaut werden, um die Herausforderungen der Digitalisierung anzugehen.
Das Internet der Dinge (kurz IoT aus dem englischen Internet of Things) stellt in der industriellen Digitalisierung ein zentrales Element dar. Hier hat sich auch der Begriff IIoT (Industrial Internet of Things) etabliert. Im weitesten Sinne wird IoT als computergestützte Vernetzung der physikalischen (u.a. Maschinen, Produkte, Sensoren) mit der virtuellen (u.a. Daten, Software) Welt über das Internet verstanden, die eine Zusammenarbeit der Objekte (things) ohne menschliche Interaktion ermöglicht.

Im Kern unterteilen wir IoT in die Evolutionsstufen Get Connected, Get Insights und Get Optimized. Get Connected beschäftigt sich dabei mit der Vernetzung und Automatisierung, Get Insights mit der Informationsgewinnung aus den gewonnen Daten mit Hilfe von Algorithmen und Machine Learning und Get Optimized umfasst die Veredelung der gewonnenen Informationen im Sinne von Kosteneffizienzsteigerungen oder Umsatzpotentialaufdeckungen durch neue Business Modelle.

Das Zusammenspiel der genannten Evolutionsstufen können wir anhand eines einfachen Beispiels aus dem „Smart Factory“ Umfeld verdeutlichen. In der Smart Factory sind verarbeitende Maschinen und auch die Produkte vernetzt und in das Netzwerk von Informationen eingebunden. Die Produkte tragen eine Markierung, die die Informationen beinhaltet, welche Bearbeitungsschritte mit den passenden Parametern für sie ausgeführt werden müssen (Get Connected). Algorithmen an den Maschinen helfen Entscheidungen in Echtzeit zu treffen, wie z.B. welche Maschine als nächstes angesteuert werden muss. So kann eine Maschine umgangen werden, die zum Beispiel durch ein fehlerhaftes Teil blockiert ist (Get Insights). Die Maschinendaten können auch dazu genutzt werden die sogenannte Downtime, die Zeit in der eine Maschine repariert oder gewartet wird, maßgeblich zu reduzieren. Der Kunde kann dann einen Service erwerben, der es ihm ermöglicht den Fortschritt der Produkterstellung über eine für ihn zur Verfügung gestellte Applikation zu verfolgen und bis zur letzten Minute noch Änderungen zu realisieren (Get Optimized).

Get Connected

BearingPoint hat in den letzten Jahrzehnten vielen Unternehmen dabei geholfen, Ihre internen Prozesse weitgehend zu automatisieren, sowie die Prozessharmonisierung und Standardisierungen als Grundvoraussetzungen für die Automatisierung vorzubereiten. Mit den Möglichkeiten des IoT bieten sich nun aber noch mehr Möglichkeiten, u.a. mit komplexen Maschinen zu interagieren und kleinste Produkte zu vernetzen.

Als größte Herausforderungen im Bereich Get Connected wurden in den letzten Jahren fehlende Standardisierung, Cyber Security und noch nicht ausgereifte Technologien angesehen.

Notwendige Standardisierungen in den Schnittstellen und Kommunikationsprozessen sind mittlerweile über diverse Institute und Konsortien auf dem Weg gebracht worden– beispielhaft sollen hier die OPC Foundation oder die Open Connectivity Foundation (kurz OCI) erwähnt werden. Auch hinsichtlich Cyber Security gibt es diverse Aktivitäten, um die Sicherheit der IoT Objekte erheblich zu verbessern. Neben der auch hier starken Open Source Fraktion (Open Web Application Security Project (OWASP)), sind auch diverse staatliche Instanzen sehr stark aktiv – beispielhaft hier erwähnt der vom U.S. Senat eingeführte „Internet of Things Cybersecurity Improvement Act of 2017“.

In Bezug auf technologische Verbesserungen kann auf die unterschiedlichsten Technologien für drahtlose Datenübertragung verwiesen werden. Low-Power-Wide-Area (kurz LPWA) oder Long Range (kurz LORA) Technologien sind relative neue Elemente von Verbindungstechnologien für geringe Reichweite. Mit der anstehenden 5G Technologie für mobile Datenübertragung für große Reichweiten und der durchgehenden Einführung des IPv6 Standards stehen neue Meilensteine bevor, die eine Verbreitung der IoT Innovationen maßgeblich vorantreiben werden.

Zusammenfassend kann für den Bereich Get Connected festgestellt werden, dass die Grundelemente für die Vernetzung bereits vorhanden sind und die Herausforderungen mit großer Geschwindigkeit angegangen werden.

Get Insights

Betrachten wir die Evolutionsstufe Get Insights stellen wir auch hier fest, dass durch die kostengünstige Cloud basierte Datenhaltung und distributive Datenprozessierung (geprägt durch die Hadoop Technologie der Apache Foundation) Meilensteine in der Datenverarbeitung von Massendaten – auch BigData genannt – erreicht wurden und bereits überall im Einsatz sind. Für die im IoT Bereich vorwiegende Verarbeitung von diskreten Realtime Daten die mittels Sensoren erzeugt, und auch als Datenströme oder Datastreams bezeichnet werden, sind diverse durch die Apache Foundation unterstützte Erweiterungsprojekte im Umlauf (u.a. Apache Flink, Apache Storm).

Neben den starken Open Source Fraktionen sind diverse kommerzielle Angebote, die sich an Hadoop anlehnen oder diese Technologien nutzen auf dem Markt (u.a. Amazon WebServices, Microsoft Azure Plattform). Aufbauend auf diesen Technologien können durch sogenannte Data Scientisten Algorithmen entwickelt werden, welche die Massendaten verarbeiten und neue Erkenntnisse aus diesen gewinnen – eine Technologie die noch vor einigen Jahren als nicht umsetzbar eingestuft wurde. Unsere Lösung HyperCube ist ein sehr gutes Beispiel wie Tools Unternehmen dabei helfen den Mehrwert aus den Daten zu generieren. Machine Learning ist in vielen Bereichen schon längst im Einsatz (z.B. Einsatz von Bots für sich wiederholende Aufgaben im Customer Service, computergesteuerte Sprachenprozessierung mit Siri oder Amazon Echo) und steht auch im industriellen Umfeld vor dem Siegeszug.

Eine weitere interessante Technologie aus dem IoT Bereich ist unter dem Namen Edge Analytics bekannt geworden (auch Complex Event Processing kurz CEP genannt). Dabei werden die Algorithmen nicht erst in der Cloud ausgeführt, sondern direkt vor Ort an den Maschinen oder Produkten, also auf den Micro Controllern die direkt mit den Maschinen vor Ort verbunden sind. Diese Miniatur Computer werden auch als Edge Devices bezeichnet. Diese Technologie wird u.a. dafür eingesetzt, um sehr zeitnahe Entscheidungen zu treffen oder mit Hilfe von Algorithmen das übertragene Datenvolumen in die Cloud zu reduzieren.

Aktuell sehen wir sogar, dass speziell für Machine Learning ausgelegte Prozessoren für den Edge im Konsumerbereich eingeführt werden (u.a. Tensor Processing Units (TPUs) von google, oder Huawei´s Kirin Chips). Wir sind uns sicher, dass diese Technologien auch bald in IoT Edge Computing Einzug erhalten werden.

Zusammenfassend können wir für den Bereich Get Insights festhalten, dass die Technologien, um aus den IoT Objektdaten Informationen zu gewinnen, sehr weit fortgeschritten sind. Es fehlt allerdings an Experten und Know-how in den Unternehmen, um die bereits vorhandenen Technologien effizient auszunutzen.

Get Optimized

Jegliche Vernetzung und das aus den Daten generierte Wissen ist jedoch nicht zu verwenden, wenn daraus keine Vorteile für den Kunden entstehen.

In der Evolutionsstufe Get Optimized werden daher alle Themen zusammengefasst, die Optimierungen und Effizienzsteigerungen der vorigen Prozesse behandeln. Dadurch, dass die Potentiale hier noch gar nicht voll erfasst werden können, fällt es jedoch schwer hier so konkret wie in den anderen Bereichen zu werden. Einige konkrete Handlungsgebiete können wir dennoch nennen.

Industrieunternehmen können durch den Einsatz von „Predictive Maintenance“ mittels Analyse von Sensordaten der Maschinen den Verschleiß und Reparaturbedarf vor einem Ausfall erkennen – und somit Verzögerungen im Produktionsablauf zuvorkommen. Mit Hilfe von „Digital Twins“ (einem virtuellen Abbild der Produktionsanlagen oder Produkte) werden Maschinen und Produkte virtuell erfasst und mit Sensorinformationen verknüpft. Die im Laufe der Zeit gewonnenen Informationen können direkt in die Produktherstellung weitergegeben werden, um die Qualität sukzessive zu verbessern. Wir sehen hier in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern und Kunden sehr gute Beispiele für den Einsatz der genannten Lösungen.

Ein weiteres Beispiel ist die Erstellung von Kundenapplikationen, die zusätzlich zu dem eigentlichen Produkt dem Kunden zusätzliche Informationen als Service geben. Solche digitalen Produkte erweitern vermehrt das bestehende Portfolio. Ist einmal die Basis geschaffen, werden hier in immer schnelleren Lebenszyklen neue digitale Produkte im Umlauf kommen.

Neben den bisher genannten eher evolutionären Lösungen können wir auch komplett disruptive Lösungen nennen, wie z.B. die plattformbasierte Lösung DriveNow. Durch diese Plattform bietet BMW in Kooperation mit Sixt Kurzzeitmieten für BMW Fahrzeuge in Großstädten an. Ein komplett neues Geschäftsmodell, dass mit dem Kerngeschäft der Fahrzeugherstellung nicht mehr viel zu tun hat. Lösungen wie unser Infonova R6 helfen Kunden dabei, den End-to-End Concept-to-Cash Prozess zu unterstützen.

Die Potentiale der Evolutionsstufe Get Optimized können nur durch die Optimierung der vorausgehenden Evolutionsstufen in allen Bereichen aufgedeckt werden. Erst durch das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente wird eine optimale Implementierung der IoT Technologien erzielt.

Fazit

„Ist IoT ein realer Hype oder eine neue Blase?“

Die Ursprungsfrage können wir mit der Aussage „IoT ist Realität!“ beantworten. Die technologischen Fortschritte der letzten Jahre, die aktuellen Anwendungsfälle, aber auch die anstehenden Lösungen sind zu weit fortgeschritten, um noch umkehrbar zu sein.

Industrieunternehmen müssen sich heute schon auf die 4. industrielle Revolution vorbereiten.

Die Anforderungen an Industrieunternehmen unterscheiden sich dabei nicht so sehr von den Anforderungen an Beratungshäuser, die IoT Projekte bereits seit einiger Zeit durchführen. Wer im Markt bestehen will, muss jetzt schon beginnen die notwendige Kompetenz und Expertise aufzubauen, um schnell genug agieren zu können. Die hohen Anforderungen der IoT-Projekte erfordern eine Bündelung verschiedener Expertisen aus unterschiedlichen Bereichen – Prozesskompetenz, Automatisierungs-, PLM- und ERP-Know-how sind genauso gefordert wie Datenarchitektur und Data Science Wissen sowie ein hohes Maß an IT-Umsetzungskompetenz.

Donald Wachs ist Partner und globaler Leiter Manufacturing bei BearingPoint sowie Experte für die Themen Industry 4.0 / IoT – mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Branche in großen Geschäftstransformations-Projekten entlang der Wertschöpfungskette bei global agierenden Kunden des Maschinen- und Anlagenbaus. Seit fünf Jahren mit besonderem Fokus auf Digitalisierung – zum Beispiel innovative Projekte im Bereich Internet of Things oder Mobility. In Digital Labs entwickelt BearingPoint anhand von Prototypen die Erprobung neuer Geschäftsideen bzw. deren technische Grundlagen. Für smarte Maschinenkommunikation sowie effizient digitalisierte Geschäftsprozesse wurde sein Team mehrfach für seine Digitalisierungskompetenz ausgezeichnet.

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