Serie: Braucht mein Unternehmen eine Blockchain und wenn ja, welche? (Teil 1)

Von   Thomas Müller   |  Sprecher der evan.network organization und CEO der evan GmbH   |  evan.network
3. März 2020

In diesen drei Einsatzbereichen wirkt die Blockchain

Dass Blockchain weitaus mehr als Bitcoin bedeutet, ist mittlerweile Konsens. Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie führende Analystenhäuser bescheinigen der Blockchain-Technologie das Potenzial, eine globale Transformation von Wirtschaftssystemen zu einer „programmierbaren Wirtschaft“ herbeizuführen.

Doch welche Einsatzszenarien jenseits von Kryptowährungen kommen konkret in Frage? Und wie identifizieren Unternehmen und Dienstleister die richtige Technologie? Das sind Fragen, die im medialen Hype leider oftmals untergehen.

Entsprechend schwer tun sich nicht IT-orientierte Unternehmen (wahrscheinlich sogar die meisten IT-Mitarbeiter), den Nutzen von Blockchain für ihr spezifisches Geschäft zu erkennen. Die oftmals plakativen Medienaussagen wie „Blockchain ist der nächste große Trend in Logistik, Supply Chain oder Gesundheitswesen” helfen da eher wenig. Auch das Studium von Blockchain Use Cases aus der Praxis erlaubt in den meisten Fällen keine direkte Übertragung auf das eigene Unternehmen. Denn nahezu alle umgesetzten Projekte dienen nicht oder nicht allein der Optimierung bestehender Prozesse, sondern ebnen den Weg für neue Wertschöpfungsmodelle. Vorher-Nachher-Vergleiche sind daher nicht möglich und messbare Ergebnisse noch sehr selten.

Bevor man sich als Unternehmen zu tief mit der technologischen Ebene befasst und versucht, Unterschiede zwischen Blockchain 1.0 und 2.0 oder zwischen Blockchain, Distributed Ledger, Tangle usw. zu verstehen, gilt es, zunächst einmal zu eruieren, ob Blockchain geeignet ist, um grundsätzliche Herausforderungen des Unternehmens zu lösen.

Digitale Identitäten, Unabhängigkeit von Intermediären, Transparenz

Aus meiner Sicht gibt es derzeit im Grunde nur drei Einsatzbereiche, für die es aus unternehmerischer Sicht sinnvoll ist, sich intensiv mit Blockchain zu befassen.

  1. Die Digitalisierung von realen Assets zur Bereitstellung von datengesteuerten Geschäftsmodellen (Digitale Identitäten)
  2. Die Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Prozessen und Transaktionen zwischen Unternehmen ohne Intermediär
  3. Eine unveränderliche Transaktions- und Vermögens-Dokumentation

In allen drei Fällen geht es um eine unternehmensübergreifende digitale Ende-zu-Ende-Vernetzung. Dort ist Blockchain nicht nur eine weitere neue Technologie, um Dinge schneller, effektiver oder sicherer zu machen, sondern birgt tatsächlich das Potenzial, etablierte Wirtschaftskreisläufe nachhaltig zu verändern.

Nachfolgend wird für alle drei potenziellen Einsatzbereiche erläutert, welchen Nutzen Blockchain-Technologie konkret bringt und warum bisher bekannte Technologien nicht in der Lage waren, das Problem auf die gleiche Weise (oder besser) zu lösen.

1.Digitalisierung von realen Assets

Die Digitalisierung von realen Gütern ist einer der spannendsten Aspekte bei der Nutzung der Blockchain-Technologie in der Wirtschaft. Ob B2C oder B2B: Die Nachfrage nach vollständig digitalisierten Services steigt stetig und Digitale Identitäten sind eine elementare Voraussetzung dafür. Der Bedarf zeigt sich heute vor allem in der schnellen Entwicklung von Handels- und Sharing-Plattformen sowie auf industrieller Seite in der Automatisierung und dem Internet of Things.

Ein praktisches Beispiel findet sich aus der Baumaschinenvermietungbranche. Bereits seit einiger Zeit geht der Trend dahin, Spezialmaschinen zu mieten statt zu kaufen. Dabei erwarten die Auftraggeber von den Vermietern, dass sie stets die richtige Maschine zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitstellen können. Der Vermieter muss oftmals auf den Fuhrpark von Partnern zurückgreifen, um die Bedürfnisse seiner Kunden zu befriedigen und dabei noch weitere Aspekte berücksichtigen, wie die entsprechende Versicherungspolice oder die Zertifizierung des Maschinenbedieners. Alle dazu nötigen Transaktionen erfolgen heute meist noch vollständig manuell und in Papierform.

Schon heute sind die Maschinen bzw. deren Digitale Identitäten selbst in der Lage, Prozesse zu steuern. Eine der größten Stärken der Blockchain-Technologie ist, dass Digitale Identitäten in entsprechenden offenen oder geschlossenen Netzwerken vertrauenswürdige Identitäten erhalten. Im Beispiel der Baumaschinenvermietung ist die Digitale Identität in der Lage, alle erforderlichen Aktivitäten von der Buchung bis zur Bezahlung zu koordinieren – und das anbieterübergreifend. Kunden können eine verfügbare Maschine direkt buchen, für einen bestimmten Nutzungszeitraum bezahlen und erhalten genau zum vereinbarten Zeitpunkt Zugang dazu.

Natürlich sind Digitale Identitäten und ihre Integration in Prozesse auch ohne Blockchain realisierbar. Allerdings erfolgen Umsetzungen in Form von IoT-Hubs, Plattformen oder anderen Cloud-Lösungen immer in Verbindung mit einem starken und mächtigen Intermediär, der die Regeln festlegt und die Macht über die Daten hat. Dezentrale Blockchain-Netzwerke lösen dieses Problem, indem jeder Teilnehmer die Hoheit über seine Daten behält und keine Abhängigkeit von Plattformbetreibern entsteht.

2.Digitalisierung von Prozessen und Transaktionen zwischen unabhängigen Unternehmen

Wie bereits angeklungen, sehen sich immer mehr Unternehmen in der Situation, die Bedürfnisse der Kunden nicht ohne Partner erfüllen zu können. Entsprechend gewinnen Kooperationsprozesse mehr und mehr an Bedeutung. Mit Blockchain können diese Prozesse effizienter und gleichzeitig flexibler gestaltet werden – aus gegenwärtiger Sicht völlig gegensätzliche Ziele.

Wo bisher Effizienz im Fokus stand, wurden meist unternehmensübergreifende Systemintegrations-Projekte gestartet, die einen EDI-basierten Datenaustausch nutzen. Solche Projekte verursachen hohe Kosten und sind mit einer starren Kopplung zwischen den Partnern verbunden, die eben alles andere als flexibel ist.

Zur Erhöhung der dynamischen Flexibilität zwischen Partnern wurden dagegen in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger Plattformen geschaffen. Aus Sicht der Prozessintegration ist dies natürlich ein großer Schritt. Aus Sicht des Unternehmens steht dem aber immer das sehr hohe Risiko einer dauerhaften Abhängigkeit von den Plattformbetreibern entgegen.

Blockchain-Technologie kann diese Hürde beseitigen. Mit ihr ist es möglich, dezentrale Ökosysteme ohne zentrale Vermittler zu schaffen. Dies wird durch den Einsatz von Smart Contracts erreicht, die die Regeln der Zusammenarbeit wie Service Level, Lieferzeiten oder Qualitätskriterien definieren und die Einhaltung der definierten Regeln automatisch überprüfen. Eine geeignete Blockchain-basierte Infrastruktur  erlaubt dabei die Einrichtung individueller Regeln und Rechtevergaben zwischen den Beteiligten und sichert somit die individuellen Geschäftsbeziehungen ab.

3.Unveränderliche Transaktions- und Vermögens-Dokumentation

Das dritte Einsatzszenario basiert auf dem wachsenden Bedürfnis nach Vertrauen in digitale Beziehungen zwischen Personen, Unternehmen, Maschinen und Waren. Von der Inbetriebnahme über die Produktion und Qualitätssicherung bis hin zur Bezahlung sollten heutzutage alle Verträge und Daten, die zwischen den Teilnehmern ausgetauscht werden, vertrauenswürdig sein. Vertrauenswürdig bedeutet, dass der Herausgeber der Informationen wirklich derjenige ist, der er vorgibt zu sein, und dass die ausgetauschten Informationen unveränderlich und manipulationssicher gespeichert werden.

Wenn wir das Beispiel der Baumaschinenvermietung verwenden, so gibt es dort viele Informationen, die manipulationssicher gespeichert werden müssen. Das beginnt bei der Dokumentation des Gefahrenübergangs und betrifft Serviceberichte genauso wie Nutzungszeiten. Wenn all diese Informationen vertrauensvoll und digital verarbeitet werden können, steigert sich auch die Prozessgeschwindigkeit enorm.

Ebenso gilt hier, dass Plattformen ein durchaus geeignetes Instrument sind, um entsprechende Transaktionen zu koordinieren, zu verarbeiten und zu speichern. Aber das Risiko der Abhängigkeit von einem zentralen Anbieter wird in diesem Punkt wahrscheinlich für viele Unternehmen eine noch größere Rolle spielen als in den obigen Szenarien beschrieben, insbesondere beim Thema Vermögens-Dokumentation.

Zusammenfassung

Wer sich ernsthaft mit der Umsetzung oder Veränderung von unternehmensübergreifenden Geschäftsmodellen beschäftigt und seine Gedanken in den oben genannten Szenarien wiederfindet, sollte sich intensiv mit den verschiedenen Typen von Blockchain-Netzwerken auseinandersetzen. Wer dagegen interne Prozesse oder eine Punkt-zu-Punkt-Kommunikation optimieren will, kommt wahrscheinlich mit anderen Instrumenten schneller und einfacher ans Ziel.

Ausblick

Im zweiten Teil der Serie werden entsprechende Kernfragen an Blockchain-Lösungen aufgezeigt. Dabei ist die Tokenisierung einer der wichtigsten Aspekte, die es zu verstehen gilt. Entsprechend geht es zum einen um Tokens als Möglichkeit, Waren, Dienstleistungen oder Rechte digital abzubilden. Ein weiteres entscheidendes Thema sind die sogenannten Smart Contracts. Denn während ein Standardvertrag nur die Bedingungen einer Geschäftsbeziehung definiert, kann ein Smart Contract auch die Bedingungen definieren, unter denen der Vertrag ausgeführt wird.

 

Thomas Müller ist Sprecher der evan.network organization. Das evan.network ist eine neutrale, blockchainbasierte Vertrauensinfrastruktur für kooperative Ökosysteme und ermöglicht die Bildung manipulationssicherer Digitaler Identitäten als Basis für automatisierte Prozesse in der Economy of Things.

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