Wie die Digitalisierung den Blick von Unternehmen auf die Qualifizierung ihrer Mitar-beiter verändert

Von   Henning Abraham   |  Partner,Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht   |  LUTZ ABEL Rechtsanwälte
15. Februar 2020

Die Digitalisierung bringt auch und gerade in Deutschland einen rapiden Wandel von Arbeitswelt und Arbeitsplätzen mit sich. Insbesondere führt die Automatisierung von Arbeitsprozessen in Unternehmen zu einem stetig steigenden Qualifizierungsbedarf. Laut einer aktuellen Studie der OECD ist ein Fünftel der Arbeitsplätze in Deutschland von Automatisierung bedroht.[1] Gleichzeitig sollen knapp 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze durch die Digitalisierung entstehen.[2] Während also infolge digitaler Transformationsprozesse einerseits Stellen entfallen, entstehen andererseits neue Stellen mit neuen Tätigkeitsprofilen. Unternehmen stehen dabei nicht selten vor der Herausforderung, dass ihre bisherigen Mitarbeiter für die neuen Aufgaben nicht oder zu gering qualifiziert sind oder ihre Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt werden könnte. Eine schlichte Ersetzung des vorhandenen Personals durch neue, qualifizierte Kräfte ist oftmals mit hohen Kosten verbunden und scheitert nicht selten auch am Fachkräftemangel, sodass klassische Restrukturierungsmaßnahmen – die auf den reinen Abbau bzw. Austausch von Personal gerichtet sind – an ihre Grenzen stoßen. Nicht zuletzt bestünde im Rahmen des Abbaus von Mitarbeitern und der Einstellung neuer Beschäftigter mit anderen Qualifikationen auch das Risiko, dass die Maßnahme arbeitsrechtlich unzulässig sein könnte. Als Lösung setzen Unternehmen daher verstärkt auf eine Weiterqualifizierung der vorhandenen Mitarbeiter und gründen hierfür eigene Qualifizierungseinheiten. Als Beispiele seien die „Fakultät 73“ von Volkswagen oder die Software Academy von Continental genannt – hier erhalten klassische Produktionsmitarbeiter eine Weiterqualifizierung im IT-Bereich.
Selbst der Gesetzgeber hat den wachsenden Qualifizierungsbedarf erkannt und mit dem seit Anfang 2019 geltenden Qualifizierungschancengesetz neue Förderinstrumente geschaffen. Flankierend zu einem staatlichen Zuschuss zu Weiterbildungskosten ist auch ein Zuschuss zum Arbeitsentgelt möglich. Im Hinblick auf eine drohende Konjunkturschwäche plant das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit dem „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ die Fördersätze über einen Transformationszuschuss nochmals deutlich zu erhöhen. Außerdem soll Mitarbeitern, die an sich keine Weiterbeschäftigungsperspektive im Unternehmen haben, durch eine „Perspektivqualifizierung“ ein längerer Verbleib ermöglicht werden.

Die Qualifizierung von Mitarbeitern wirft jedoch eine Vielzahl rechtlicher Fragestellungen auf: Besteht ein individualrechtlicher Anspruch der Mitarbeiter auf Qualifizierung? Welche Auswirkungen ergeben sich für Kündigungen? Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind (z.B. bei der Auswahl von Mitarbeitern für eine Qualifizierungsmaßnahme oder bei der Ausgestaltung von Qualifizierungseinheiten) zu beachten? Was ist ein Qualifizierungssozialplan?

Gestaltungsmöglichkeiten zur Qualifizierung von Mitarbeitern

Die Qualifizierung von Mitarbeitern kann entweder „on the job“ oder gesondert in einem „Qualifizierungsbetrieb“ oder einer „Qualifizierungsgesellschaft“ erfolgen. Die Entscheidung hängt u.a. davon ab, ob Risiken ausgelagert (Qualifizierungsgesellschaft) oder die Mitarbeiter flexibel im Unternehmen(sverbund) weiterbeschäftigt (Qualifizierungsbetrieb) werden sollen.

In einem Qualifizierungsbetrieb werden die zu qualifizierenden Mitarbeiter in einer neuen betrieblichen Einheit zusammengefasst, in ihr weitergebildet und im Anschluss innerhalb des Unternehmens in einen „normalen“ Betrieb versetzt. Während der Dauer der Qualifizierungsmaßnahme können die Mitarbeiter weiterbeschäftigt oder konzernintern verliehen werden.

Ein Wechsel in eine Qualifizierungsgesellschaft ist hingegen nur einvernehmlich möglich. Die Arbeitsverhältnisse der überführten Mitarbeiter mit ihrem bisherigen Arbeitgeber enden hierdurch vorzeitig, ohne Einhaltung der an sich zu berücksichtigenden Kündigungsfrist und ohne rechtliche Risiken (insbesondere ohne Sozialauswahl).

Haben Mitarbeiter einen Qualifizierungsanspruch?

Sofern sich die Anforderungen an Mitarbeiter ändern, sodass ihre Kenntnisse und Fähigkeiten für die geforderte Tätigkeit nicht mehr ausreichen, stellt sich die Frage, ob der einzelne Mitarbeiter einen Anspruch auf Weiterbildung gegenüber dem Arbeitgeber hat. Auch Arbeitgeber werden sich fragen, ob sie Mitarbeiter zur Weiterbildung verpflichten können.

Ein allgemeiner gesetzlicher Anspruch des Mitarbeiters auf Weiterbildung und Qualifizierung besteht nicht. Der Mitarbeiter hat lediglich einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber mit ihm frühzeitig die Möglichkeiten erörtert, seine bisherigen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten an die geänderten Anforderungen anzupassen. Daneben können sowohl die Tarifvertragsparteien als auch die Betriebsparteien einen Anspruch des Mitarbeiters auf Qualifizierung vereinbaren. Von dieser Möglichkeit ist in Tarifverträgen in der Vergangenheit jedoch kaum Gebrauch gemacht worden. Auf betrieblicher Ebene entdecken hingegen immer mehr Betriebsräte ihre weitgehenden Mitbestimmungs- und Initiativrechte.

Auch der Arbeitgeber kann Fortbildungen und Schulungen nur eingeschränkt anordnen. Das gilt insbesondere für Fortbildungen, die erforderlich sind, damit der Mitarbeiter weiterhin seinen arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten nachkommen kann. Über die konkrete Leistungspflicht hinausgehende Fortbildungen sind vom Direktionsrecht hingegen nicht erfasst. So kann die Qualifizierung auf einen neuen Arbeitsplatz, beispielsweise durch das Erlernen einer Fremdsprache oder von Programmierkenntnissen, nicht einseitig angeordnet werden.

Auswirkungen auf betriebsbedingte Kündigungen

Zum Teil können sich durch die Umsetzung einer Qualifizierungsmaßnahme weitreichende Folgen für anstehende betriebsbedingte Kündigungen ergeben. Im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen besteht nämlich durchaus eine indirekte gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Qualifizierung seiner Mitarbeiter, wenn für diese nach einer dem Arbeitgeber zumutbaren Qualifizierung eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz besteht. In diesem Fall muss der Arbeitgeber die Qualifizierung durchführen und kann den Mitarbeiter nicht einfach entlassen.

Problematisch sind insbesondere diejenigen Fälle, in denen eine geplante Modernisierung zu betriebsbedingten Kündigungen führt, weil die bisherigen Arbeitsplätze wegfallen, zugleich aber neue Arbeitsplätze mit neuen fachlichen Anforderungen geschaffen werden. Hier stellt sich die Frage, wer für die Arbeit an den neuen Anlagen zu qualifizieren ist und wer gekündigt werden muss. Weitgehende Einigkeit besteht, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, diejenigen Mitarbeiter zu qualifizieren, bei denen bereits feststeht, dass sie nicht weiterbeschäftigt werden sollen. Die Anzahl der Mitarbeiter, die der Arbeitgeber nach der betrieblichen Maßnahme weiterbeschäftigen will, begrenzt demnach seine Pflicht zur Qualifizierung.

Könnte der Arbeitgeber die zu qualifizierenden Mitarbeiter frei auswählen, könnte er hierdurch die Sozialauswahl im Rahmen der Kündigung von Mitarbeitern umgehen. Dies wird daher überwiegend für unzulässig gehalten. Unternehmen entwickeln daher vielfach längerfristig angelegte, gezielte Qualifizierungsprogramme, um einerseits dem bereits erkennbaren Qualifizierungsbedarf nachzukommen und andererseits gezielt ihre künftige Belegschaft auszuwählen. Denn je weiter im Vorfeld eines Personalabbaus Qualifizierungen durchgeführt werden, desto geringer ist das Risiko einer Angreifbarkeit der Mitarbeiterauswahl unter sozialen Gesichtspunkten.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Im Rahmen der Qualifizierung von Mitarbeitern kommen dem Betriebsrat sowohl hinsichtlich der Einführung einer Qualifizierungsmaßnahme („Ob“) als auch hinsichtlich der konkreten Durchführung der Maßnahme („Wie“) umfangreiche Mitbestimmungsrechte zu. Voraussetzung ist eine Maßnahme des Arbeitgebers, die dazu führt, „dass sich die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ändert und ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen“. Es muss also aufgrund einer arbeitgeberseitigen Maßnahme eine Diskrepanz zwischen den Anforderungen und dem Ausbildungsstand der Mitarbeiter entstehen. In diesem Fall kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber verlangen, dass entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Werden dann Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt – sei es auf Initiative des Betriebsrats oder auf Wunsch des Arbeitgebers – kann der Betriebsrat auch hinsichtlich der Ausgestaltung und der Teilnehmerauswahl mitbestimmen. Diese Instrumente werden von Betriebsräten vermehrt proaktiv eingesetzt, um drohenden Qualifizierungsdefiziten und damit einhergehendem Personalabbau entgegen zu wirken.

Qualifizierungssozialplan

Einen Sonderfall stellt ein sog. Qualifizierungssozialplan dar. Hier liegt eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung, bspw. ein Personalabbau vor, bei dem der Betriebsrat anstelle reiner Abfindungslösungen eine Qualifizierung der Mitarbeiter verlangt. Da die Ein- und Durchführung einer Qualifizierungsmaßnahme der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, kann er faktisch einen Qualifizierungssozialplan erzwingen. Typische Regelungsgegenstände sind z.B. die Erhebung des Qualifizierungsbedarfs, die Auswahl des Teilnehmerkreises und die Festlegung konkreter Qualifizierungsziele.

Welche Fördermöglichkeiten bestehen?

Je nach Ausgestaltung können Qualifizierungseinheiten u.U. durch staatliche Weiterbildungszuschüsse der Agentur für Arbeit gefördert werden. Mit dem Qualifizierungschancengesetz vom 1. Januar 2019 sind die gesetzlich vorgesehenen Fördermöglichkeiten erweitert worden. Voraussetzung für einen staatlichen Zuschuss bei Weiterbildungskosten ist jedoch, dass sich das Unternehmen, abhängig von seiner Betriebsgröße, hieran beteiligt.

Die Regelungen des Qualifizierungschancengesetzes sollen nach dem BMAS durch einen Transformationszuschuss erweitert werden. Der Transformationszuschuss sieht unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. die Erstellung eines Qualifizierungsplans mit dem Betriebsrat und eine Weiterbeschäftigungsabsicht für die zu qualifizierenden Mitarbeiter für bis zu fünf Jahre) eine Erhöhung der Fördersätze um 20 % vor.

Quellen und Referenzen:

[1] OECD Employment Outlook 2019, S. 49.

[2] IAB-Forschungsbericht 5/2019, BMAS-Prognose „Digitalisierte Arbeitswelt“ (Stand: 11.6.2019), S. 33.

Henning Abraham studierte Rechtswissenschaften in Hamburg und promovierte an der Humboldt-Universität Berlin. 2010 Zulassung als Rechtsanwalt und promotionsbegleitende Tätigkeit in Hamburger Wirtschaftskanzlei, 2011-2015 Rechtsanwalt in int. Großkanzlei, seit 2013 Fachanwalt für Arbeitsrecht, seit 2015 bei LUTZ ABEL.

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