Digitalisierung als Wachstumschance durch neue Preismodelle

Von   Prof. Dr. Markus B. Hofer   |  Geschäftsführender Gesellschafter   |  EbelHofer Strategy & Management Consultants
7. August 2019

Der herstellenden Industrie eröffnen sich durch das Internet der Dinge und Industrie-4.0-Technologien neue Möglichkeiten um z. B. neue Produkte und Angebote zu definieren, Ressourcen zu vernetzen, neue Abrechnungsmodelle wie Pay-per-Use einzuführen oder Wartungen vorausschauend zu planen. Über ihr klassisches Geschäft können sie damit hinauswachsen. Neben diesem Potential für die Umsatz- und Gewinnerwartung stellt die Digitalisierung aber auch in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für die Industrie dar. Um für diese gewappnet zu sein, braucht es neues Denken: Industrie-Unternehmen sollten ihre bestehenden Geschäfts- und Preismodelle überarbeiten und sich für disruptive Veränderungen fit machen. So kann es Ihnen gelingen, die durch die Digitalisierung entstehenden Chancen für Pricing und Erfolg zu nutzen.
Wie sich die zunehmende Digitalisierung auswirkt, ist im privaten Bereich bereits stark zu spüren. Mobiles Surfen im Netz ist zur Selbstverständlichkeit geworden: Es wird vermehrt online gekauft und digital bezahlt, private Daten werden im Netz preisgegeben. Auch die Nutzung von Sprachsteuerung oder Streamingdiensten macht es deutlich: Die Digitalisierung hat sich in der Gesellschaft etabliert. Auch vor Business-Umfeldern und in zunehmendem Maße in der Industrie macht die Digitalisierung nicht Halt. Unternehmen müssen sich daher auf neue Erwartungshaltungen und Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen. Denn wenn Konkurrenten sich womöglich schneller auf diese einstellen, sind sie klar im Vorteil – die Unternehmen verlieren zwangsläufig ihren Rang an ihre Mitbewerber. Die neuen Schlüsselkompetenzen für Unternehmen, um Gewinn und Erfolg abzusichern, lauten daher Innovationsfähigkeit und Schnelligkeit. Veränderungen von Arbeitswelt und internen Prozessen durch Digitalisierung stehen dabei besonders im Fokus.

Der Glanz des Neuen

Industrie 4.0 bietet Herstellern zahlreiche Möglichkeiten, sich neu zu erfinden, Marktpositionen zu sichern und neue Märkte zu erobern. Eine Erneuerung von Grund auf steigert neben der Produktivität auch das Erfordernis, Produkte auf eine neue, innovative und kundenorientierte Art zu vermarkten. So haben sich bereits zahlreiche industrielle Hersteller in neuen Geschäftsbereichen positioniert. Beispielsweise hat Vorwerk mit der Küchenmaschine Thermomix Hard- und Software mit On- und Offline-Services verbunden, um Kunden Zeit und Aufwand beim Kochen zu sparen. Zudem bieten Augmented-Reality-Dienste, die eine visuelle Brücke zwischen virtueller und realer Welt entstehen lassen, Potenzial, die Bedienung von Maschinen und Geräten entscheidend zu verbessern.

Unternehmerischer Mut ist gefragt, um sich auf die Innovationen einzulassen und beispielsweise Mehrwertservices über den Lebenszyklus von Produkten hinaus anzubieten. Dazu müssen Industrie-Unternehmen allerdings ihre jeweilige Ausgangssituation analysieren. Fragen wie beispielsweise „Wie sind wir generell aufgestellt?“, „Wie sind unsere Vertriebsmodelle und Preiskonditionen gestaltet?“, „Wie kommt unser Produkt an den Kunden?“ und „Sind diese Konzepte bei uns noch zeitgemäß angesichts der Disruption?“ geraten unweigerlich in den Fokus. Diese betreffen auch und insbesondere das Preismanagement.

Offenheit zu neuen Angebotsmodellen ist gefragt

Gerade im Maschinenbau ist häufig eine hohe Anfangsinvestition durch die Kunden notwendig. Um diese Entscheidungshürde abzubauen, aber auch um die Zyklizität des Absatzes zu verringern, bieten sich Geschäftsmodelle mit regelmäßigen Zahlungsströmen an. Pay-per-use-Modelle können dabei eine Option sein, die beiden Seiten Vorteile bietet, nämlich eine Verstetigung der Kosten. Jedoch kann gerade die Umstellung von einem klassischen Kaufmodell hin zu einem Pay-per-use-Modell durchaus mit deutlichen Einbußen im kurzfristigen Umsatz einhergehen, da zwar Maschinen ausgeliefert, aber nicht sofort komplett bezahlt werden. Deshalb empfiehlt es sich, die Auswahl und Gestaltung neuer Preismodelle sowie deren Nutzung auch im Zusammenhang mit dem heutigen Geschäftsmodell eingehend zu prüfen.

Ähnlich wie Leasingmodelle werden auch nutzungsbasierte Geschäftsmodelle für immer mehr Geschäftsbereiche interessant. Die Winterhalter Gastronom GmbH, Marktführer in der Produktion gewerblicher Spülsysteme für Gastronomie und Hotellerie, hat das neue Geschäfts- und Preismodell als Pay-per-wash im Markt eingeführt: Die Monetarisierung erfolgt über die Nutzung – sprich über jeden einzelnen Waschgang. Auch der Hersteller Electrolux bietet teilweise seine Waschmaschinen im Rahmen von Pay-per-use-Modellen an. Für Krankenhäuser etwa fallen im IT-Bereich durch Pay-per-use bei Erweiterung der Krankenhaus-Verbundgröße keine zusätzlichen IT-Investitionen, sondern lediglich höhere monatliche Beträge an. Einen ähnlichen Weg geht der Kompressoren-Hersteller Kaeser. Anstelle die Kompressoren selbst ausschließlich als Investitionsgüter zu vertreiben, rechnet Kaeser diese anhand der beim Kunden erzeugten Druckluft pro Kubikmeter ab. Dies erspart dem Kunden die Investition in den Kompressor selbst. Weitere Beispiele für die gelungene Anpassung an die Digitalisierung finden sich beim Bohrmaschinen-Anbieter Hilti, der sich zum Komplettlösungsanbieter am Bau entwickelt hat, sowie beim japanischen Baumaschinenhersteller Komatsu. Dieser hat sein Geschäftsmodell zum Konzept Smart Construction umgebaut; die Arbeit auf Baustellen hat Komatsu mitsamt Baggern und Bulldozern durch den Einsatz von Sensordrohnen, Datenauswertung und KI-Anwendungen halbautomatisiert. Ein cloudbasiertes Steuerzentrum digitalisiert die Verwaltung der gesamten Baustelle  von Vermessung bis Bauplanung, um so Aufwand zu reduzieren und Arbeitsoutput zu erhöhen.

Daten vorausschauend nutzen

Als Kernkomponente und Schlüsselinnovation von Industrie 4.0 gilt Predictive Maintenance bzw. vorausschauende Wartung. Das Verfahren unterscheidet sich grundlegend von bisherigen reaktiven und präventiven Wartungsansätzen. Es nutzt durch Sensoren erfasste Mess- und Produktionsdaten von Maschinen und Anlagen, um die Restlebensdauer von Komponenten und Wartungsinformationen abzuleiten. So lassen sich Störungen vorhersagen bevor es zu Ausfällen kommt; Wartungen erfolgen, ehe Defekte zu beklagen sind, was Störungszeiten reduziert. Andererseits erfolgt die Wartung aber auch nicht zu früh, wodurch Unternehmen die Lebenszeiten von Maschinen und Komponenten bestmöglich ausnutzen können. Der große Vorteil jedoch ist die Planbarkeit von Ausfallzeiten; diese sollen immer dann erfolgen, wenn die Produktion am wenigsten oder idealerweise überhaupt nicht beeinträchtigt wird.

Unternehmen müssen sich daher den Herausforderungen bei der systematischen Überführung von gesammelten Daten in nutzbare Form stellen. Damit erhöhen sie zugleich den Nutzen ihrer Kunden und erfüllen deren Anforderungen hinsichtlich Zuverlässigkeit und Ausfallsicherheit. Ein erfolgreiches Beispiel findet sich bei Heidelberger Druck; das Unternehmen wendet Predictive Maintenance an, um Störfälle bei seinen Druckmaschinen zu verhindern. Predictive Maintenance bietet Industrie-Unternehmen insbesondere in ihren Service-Geschäftsmodellen großes Potential, um hierzu innovative Betreuungskonzepte zu entwickeln. So lassen sich Maschinen und Anlagen z. B. nutzungsbasiert sowie kombiniert mit einem Aufschlags-Fee für vorausschauende Instandhaltung anbieten und vertreiben. Hier bestehen viele Möglichkeiten zur Gestaltung von Geschäftsmodellen – jedes Industrie-Unternehmen sollte daher die eigenen Modelle stets prüfen und im Blick haben, wie sich die Konkurrenz verhält, um nicht urplötzlich Kundschaft zu verlieren.

Mit der Digitalisierung wachsen auch stetig die für Industrie-Unternehmen täglich zu bewältigenden Datenmengen. Daraus verwertbare Informationen abzuleiten, sie wirtschaftlich zu verwalten und effektiv zu nutzen wird immer wichtiger. Cloudbasierte Instandhaltungs-Systeme stellen dabei wirtschaftliche Lösungen für Unternehmen dar. Mit Cloud Services zur Instandhaltung wie denen des Anbieters SKF erhalten Unternehmen so z. B. Hardware, Server, Onlinespeicher und Archive. Ein anderes Beispiel findet sich bei der Axoom GmbH, gegründet durch den Maschinenbauer Trumpf, die mit ihrer Industrie 4.0 Plattform Lösungen speziell für Maschinenhersteller anbietet, unter anderem mittels Datencockpit via APP. An die Anforderungen der Digitalisierung angepasste Services bieten auch die iBin Lösungen von Würth Industrie Service, die z. B. fehlende Schrauben automatisch erkennen und nachbestellen. Ein weiteres Exempel findet sich bei der Voith Servolution für Papierfabriken, die durch intelligente Anlagenüberwachung via Augmented Reality und Instandhaltungsmanagement mit OnCare AM die Produktivität verbessert. Mit der Lösung weiß das einsetzende Unternehmen bereits im Vorfeld, wann und wo Wartungs- oder Optimierungsmaßnahmen anstehen.

Digitales Preismanagement

Diese Beispiele zeigen, dass viele Unternehmen die Chancen der Digitalisierung bereits erkannt haben. Zugleich stehen viele industrielle Anbieter weiterhin vor den Herausforderungen der Digitalisierung, sich neu aufzustellen und wo nötig Geschäftsmodelle zu überdenken. Eine Studie der KfW kommt zu dem Schluss, dass der deutsche Mittelstand sein Potenzial in diesem Bereich nicht ausschöpft. Eine neue Strategie muss als Gesamtkonzept alle Digitalisierungsinitiativen im Unternehmen bündeln. Für die Marketing- und Vertriebsseite bedeutet dies, neue Preismodelle, Services für Kunden und erweiterte Angebote zu erarbeiten. Big Data aus der Produktion in Geschäftsprozesse und Angebote zu integrieren, wird so unerlässlich.

Eine Kernfrage im Rahmen einer solchen neuen Preisstrategie ist, wie das Unternehmen seine Preise im Markt beziehungsweise in verschiedenen Märkten steuern soll. Auch wenn dynamische Preismodelle auf Basis der Auswertung großer Datenmengen noch nicht für alle Unternehmen eine Lösung darstellen, so werden doch die Häufigkeiten von Preisänderungen und die regelmäßige Optimierung von Preispunkten immer wichtiger. Die Suche nach dem optimalen Preis verstetigt sich also – es benötigt ein aktives und fortdauerndes Preismanagement, um Preise schneller anpassen zu können.

Vor diesem Hintergrund basiert das Pricing auf einer Vielzahl von Einflussgrößen. Neben produktionstechnisch gesammelten Daten stellen auch Informationen zu internen Preisprozessen, zu durchgesetzten Preisen und zu Marktreaktionen auf Preisänderungen Bestandteile dieser Datengrundlage dar. Big Data und Business Intelligence werden so zu Wegbereitern intelligenter Pricingprozesse aus Preisdifferenzierung, individueller Preissetzung und dynamischem Pricing. Dabei ist ein solches digitalisiertes Preismanagement dazu in der Lage, preisstrategische Methoden wie kostenbasierte Ansätze, wettbewerbsorientierte Preissetzung und auch wertbasiertes Value Pricing zu nutzen. Die komplexe Datengrundlage gepaart mit der Möglichkeit zur effizienten Auswertung und das Vorhandensein eines umfangreichen Methodensets optimiert schließlich die Preissetzung für höhere Umsatz- und Gewinnerwartungen.  Ein so professionalisiertes Preismanagement stellt einen unverzichtbaren Baustein zur Gewinnmaximierung und des Marketingmix von Unternehmen dar.

Prof. Dr. Markus B. Hofer ist Geschäftsführender Gesellschafter bei EbelHofer Strategy & Management Consultants. Sein Beratungsfokus liegt auf Wachstums- und Ergebnissteigerungsprojekten, vor allem in Pricing und Vertrieb. Er lehrt an der International School of Management (ISM), Dortmund.

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