HR in Zeiten der Digitalisierung

Von   Marc Tesch   |  Geschäftsführer CFO   |  genua GmbH
16. Januar 2019

Mit zunehmender Digitalisierung ergeben sich für Gesellschaft und Wirtschaft weitreichende Veränderungen. Die Digitalisierung, die bereits heute ganze Geschäftsmodelle und Wirtschaftsbereiche rasant verändert, eröffnet große Chancen, stellt aber gleichermaßen Unternehmen und Mitarbeiter vor große Herausforderungen.
Es sind insbesondere die Unternehmen die sich auf die „digitale Transformation“ einstellen müssen, wollen sie im Wettbewerb „War for Talent“ um qualifizierte Fachkräfte bestehen. Digitalisierung, Globalisierung, Demographie und Wertewandel, um nur einige zu nennen, haben wesentlichen Einfluss auf die uns heute bekannte Arbeitswelt. Die Art und Weise, wie wir es bisher gewohnt waren zu arbeiten scheint in einigen Bereichen fundamental auf den Kopf gestellt.

Auf Unternehmensebene widmet man sich im Zuge der Digitalisierung Themen wie Industrie 4.0, IoT, Arbeiten 4.0, New Work, Dezentralisierung und zwangsläufig einem altbekannten Problem: dem Fachkräftemangel. Gerade zuletzt genannten, gewinnt bei guten konjunkturellen Entwicklungen und bei Fragen zur „Fähigkeit der Digitalisierung“ zunehmend an Bedeutung. In der Folge steigen die Anforderungen an die Organisation und ihre HR-Bereiche, denn es sind vermutet die begehrten Experten, die mit ihren besonderen Fähigkeiten den „wesentlichen Beitrag“ zur Digitalisierung leisten. Es gilt also mehr denn je, die vorhanden Mitarbeiter hinsichtlich der zu erwartenden Änderungen an eine neue Arbeitswelt aus- und weiterzubilden und ferner die gewünschten Fachkräfte mit den erforderlichen Qualifikationen erfolgreich zur rekrutieren.

 

Doch über welche Fertigkeiten, Fähigkeiten und welches Wissen müssen Mitarbeiter im Kontext der Digitalisierung verfügen? Ein häufiger Irrtum besteht darin zu glauben, dass ausschließlich Mitarbeiter mit entsprechen IT-Kenntnissen in der Lage wären, eine Beitrag zur Digitalisierung zu leisten. Zugestanden, wer über das entsprechende Wissen der gängigen modernen Informations- und Kommunikationstechnologien verfügt, wird sich vermutlich im Verständnis hin zur sicheren Digitalisierung leichter tun. Doch im Wandel zur Digitalität steigen ebenfalls die Anforderung an die sozialen Kompetenzen, die Flexibilität, die Kooperationsbereitschaft, die Kommunikationsstärke sowie die Bereitschaft zur Selbstorganisation bei der noch zunehmender Eigenverantwortung und Selbständigkeit in den Fokus rücken. Künftig müssen Mitarbeiter bereit sein in virtuellen Teams dezentral unabhängig zu agieren, eine Forderung die oft einfacher erscheint, als sie es wirklich ist. Es müssen zunehmend immer mehr Mitarbeiter in den Organisationen zumindest über IT „Basis-Kenntnisse“ verfügen, wenn die Organisation die Potenziale digitaler Technologien, denen man die Steigerung von Innovativität, Effizienz und Effektivität zuschreibt, voll ausschöpfen möchte.

In der Folge kommt der Fortbildung und dem Aufbau digitaler Kompetenzen eine immer größer werdende Bedeutung zu. In diesem Kontext kann Digitalisierung unter zwei Aspekten betrachtet werden: Wie erfolgt Fortbildung und welche Inhalte werden zunehmend wichtig? In Bezug auf das „wie“ lässt sich nicht erst seit Kurzem ein Trend zu E-Learning bzw. Blended-Learning Konzepten beobachten. Gerade Fachkompetenzen veralten immer schneller, Wissen muss schnell passgenau zur Verfügung stehen. Digitale Lernformate erscheinen hier als die Methode der Wahl. Sozial- und Methodenkompetenzen wie z. B. Verhandlungskompetenz lassen sich allerdings nur bezüglich des theoretischen Hintergrundwissens vollständig „digitalisieren“. Verhaltenstraining im Seminarraum bleibt ein zentraler Bestandteil, wenn auch vermutlich in Zukunft immer häufiger ortsunabhängig in sog. „Virtual Classrooms“.

Was die Inhalte der Fortbildung betrifft, muss zunächst die Frage gestellt werden, wie sich Arbeitstätigkeiten im Zuge der Digitalisierung verändern. Mit dem zu erwartenden Wegfall von einfachen Routineaufgaben werden strategische und planerische Aufgaben auf Ebene der Mitarbeiter zunehmend wichtiger. Immer neue Prozessmodelle rücken in den Vordergrund. Design Thinking, Scrum oder Lean Startup versuchen mit agilen und iterativen Vorgehen neue Prozessmodelle für die Innovation zu etablieren. Die Digitalisierung wird zum Innovationstreiber und Innovationsmanagement auf diese Weise zur Schlüsselkompetenz. Doch es ist wichtig, dass Unternehmen den Überblick über die Vielzahl an verfügbaren Informationen behalten und wissen, wie sie diese zu analysieren und interpretieren haben.

Damit wird auch deutlich, welche Fähigkeiten bei der Ausbildung der Generation Z und Y im Auge behalten werden sollten: Mitarbeiter müssen künftig noch deutlich stärker in der Lage sein, sich schnell und selbst gesteuert Wissen anzueignen. Weiterhin liegt eine Herausforderung darin, sich im „Big Data-Gewirr“ zurechtzufinden und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Fokus auf das Wesentliche, gute analytische und strategische Fähigkeiten und nicht zuletzt Kenntnis von Innovationsmethoden sind damit unabdingbar.

 

Der technologische Fortschritt insbesondere durch die Digitalisierung steigert in besonderem Maße die Erwartungen und den Bedarf an Fachkräften. Als Kernwissenschaft für den digitalen Wandeln gilt die Informatik. Unternehmen, die sich im starken Wachstum befinden oder gegenwärtig nicht über die Mitarbeiter mit den gewünschten Fähigkeiten verfügen, bleibt „kurzfristig“ neben den vorstehend aufgeführten Maßnahmen, die Rekrutierung der benötigten Fachkräfte am Arbeitsmarkt. Doch die Suche nach Mitarbeitern, häufig mit einer fundierten Ausbildung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, gestaltet sich aufgrund des andauernden Fachkräftemangels in der IT oftmals schwierig. Der Überschuss an Stellenangeboten ist insbesondere in Ballungszentren wie München eklatant. Folglich gilt es, sich als Unternehmen entsprechend zu positionieren und eine ganzheitliche Strategie zu entwickeln, um sich in Bezug auf Attraktivität von den anderen Marktteilnehmern abzuheben.

 

Ein Merkmal der Differenzierung, welches heute stark verfolgt wird, ist Employer Branding. Es unterstützt die HR Bereiche bei der Ansprache neuer Kandidaten. Neben EB gilt es zudem, dem Rekrutierungsverfahren und dem Bewerbermanagement einen höheren Stellenwert einzuräumen. Die klassischen Printmedien sind heute nicht mehr wirklich signifikant, wenn es um die Erreichbarkeit und die Ansprache der gewünschten Kandidaten geht. Auch die Bewerber schätzen einfache, moderne, vor allem schnelle und unbürokratische Bewerbungswege. Folglich werden immer neue und schnellere Möglichkeiten zur Nutzung der Digitalmedien zur Informationsbeschaffung und zum Informationsaustausch entwickelt. Die gängige Praxis zeigt, dass Recruiting über IT-gestützte Medien unverzichtbar ist. Nahezu alle offenen Vakanzen werden heute über die Unternehmenswebsite und damit über das Internet offeriert, gefolgt von Internetstellenbörsen. Es sind kreative Recruiting-Ansätze gefragt, die bei den Bewerbern für deutlich mehr Aufmerksamkeit sorgen sollen. Recruiting Videos, Stellenanzeigen und Postings auf Social Media Plattformen sind bereits in einer Vielzahl der Unternehmen etabliert und reichen als Differenzierungsmerkmal kaum mehr aus. „Active Sourcing“ mutiert zu „Creative Sourcing“ und versucht so die Zielgruppen noch treffsicherer zu adressieren. Crowdsourced-Recruiting (Ideenwettbewerbe), die mittels kleiner Anreize versuchen, das Interesse von Fachexperten zu wecken, um auf diesem Wege eine Verbindung zum Unternehmen herzustellen, sind ebenso wie Mitarbeiterempfehlungskarten (Mitarbeiter werben Mitarbeiter), mittels derer die Mitarbeiter zu Unternehmensbotschaftern werden und so hoffentlich die Arbeitgebermarke stärken um potentielle Kandidaten anzulocken, State of the Art. So genannte Non-Recruiting-Events (Karrieremessen) versuchen, die besonderen Eigenschaften der Kandidaten anzusprechen. Fachforen sind insbesondere in den MINT-Bereichen bei den Spezialisten beliebt. Insbesondere der digitale „Talentpool“, oft verknüpft mit Software gestützten Bewerbermanagementsystemen ist heute häufiger denn je anzutreffen. Willkommen in der Unternehmensdatenbank! Subsumiert unter dem Begriff „Online Recruiting“ findet man heute oftmals das mobile Recruiting. Ein vermutlich weiterhin nicht aufzuhaltender Trend ist die Nutzung mobiler Endgeräte (Smartphones, Tablet-PCs). Immer mehr Internetnutzer gehen über das Smartphone ins Internet. Mittels „responsive Design“ lassen sich Darstellungsprobleme technisch lösen und so bekommt der Nutzer eine auf seine Bildschirmgröße angepasste „mobile“ Website.

Robot Recruiting könnten zu den Chancen der Digitalisierung zählen. Roboter suchen neue Mitarbeiter. Sowohl Kandidaten wie auch Recruiter stehen dem nicht abgeneigt gegenüber. Beide Seiten sehen Potenziale in dem Einsatz einer computergestützten Selektion der Bewerbungen. Die Effizienz und letztlich der Effektivitätsgewinn auf Seiten der Unternehmen ist ebenso gewünscht wie der faire Vergleich von Fakten auf Seiten der Bewerber. Subjektive Kriterien werden durch die Verwendung eines Computers nicht berücksichtigt, aus Sicht der Bewerber erfolgt so eine diskriminierungsfreie Vorauswahl. Das sorgt für mehr Chancengleichheit und für eine hohe Akzeptanz, jedoch bleibt es abzuwarten, ob sich dies durchsetzen kann.

Social Gaming Recruiting, nicht zu verwechseln mit E-Assessment, gehört heute noch nicht zum Mainstream, ist aber weiter auf dem Vormarsch. Recruiting-Spiele sind abzugrenzen von den Assessment-Verfahren (eignungsdiagnostische Verfahren), die heute zunehmend online erfolgen. Die Differenzierung liegt in dem „spielerischen Austausch“ und dem „gegenseitigen Kennenlernen“, bei dem der Arbeitgeber Storytelling betreibt und die Testverfahren in Rahmenhandlungen einbindet. Aus Sicht der Unternehmen liegt die Motivation zur Verwendung solcher Systeme in der Verbesserung der Qualität der Auswahlentscheidung sowie der Zeit- und Kosteneinsparung. Möchte man Talente für sich gewinnen, bedarf es jedoch gewisser Alleinstellungs- bzw. wie eingangs erwähnt Differenzierungsmerkmale. So versuchen Unternehmen nicht mehr nur analoge Stellenanzeigen in die digitale Welt zu überführen, sondern gezielt mit dem Einsatz von Stellenvideos die Kandidaten von der Attraktivität des Arbeitgebers, der Aufgaben und der Position zu überzeugen. Dieses Vorgehen lässt sich auch unter Video Conferenze Recruiting subsumieren. Immer einfacher, schneller, unbürokratischer soll der Austausch mit den Bewerbern erfolgen. Ein klick und der Bewerber hat sein Profil aus den Business-Netzwerken in die Datenbank seines Wunscharbeitgebers mittels „One Click Bewerbung“ hochgeladen, ohne aufwändig die ohnehin schon im Profil hinterlegten Daten nochmal in ein Bewerberformular tippen zu müssen, eben digital.

 

Mit Hilfe der Digitalisierung erschließen sich die Unternehmen und ihre HR-Bereiche eine Vielzahl von modernen Instrumenten, die bei der Mitarbeitergewinnung unterstützen können. Dennoch bringt meist alleine die erfolgreiche Rekrutierung von Fachkräften noch nicht den gewünschten nachhaltigen Erfolg.

Vielmehr ist es Aufgabe der Unternehmen, neben modernen und innovativen Verfahren die Retention Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen. Unter dem Begriff der Work-Life Balance verstandenen Zustand das Arbeits- und Privatleben miteinander in Einklang zu bringen ist wichtig, doch geht es nicht bereits um weitaus mehr?

Es gilt eine angenehme Arbeitsatmosphäre sowie flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten und den Mitarbeitern mitgestalten zu ermöglichen. Insbesondere flache Hierarchien und die Freiheit nach mehr Selbstbestimmtheit wird zunehmend von der jüngeren Generation gefordert.

Es bedarf eines Umdenkens. Heute geht es mehr denn je um Human Relations als Human Ressources sowie eine gute Arbeits- und zukunftsfähige Unternehmenskultur. Es gilt einen Ort zu schaffen, besser einen Lebensraum, in dem sich die persönlichen Interessen der Mitarbeiter mit der Arbeit optimal vereinbaren lassen. Aus der Anforderung des räumlich verteilten Arbeitens sollte daher die Möglichkeit zur Nutzung von Homeoffice heute übliche Praxis sein.

Unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung, eines zunehmenden Wettbewerbsdrucks, den letztlich auch die Digitalisierung mit sich bringt, sowie eines steigenden Fachkräftemangels in den MINT-Berufen wird der „Wohlfühlfaktor“ in den Unternehmen künftig ein immer entscheidenderes Differenzierungsmerkmal sein.

Aus Sicht des Personalwesens gilt es in unserer schnelllebigen hochtechnisierten Zeit zukunftsorientiert zu bewerten, welche Chancen die Digitalisierung für den nachhaltigen Unternehmenserfolg bietet.

 

Marc Tesch verantwortet seit 2017 als Geschäftsführer der genua GmbH die Bereiche Finanzen, Vertrieb und Personal sowie die zentralen Unternehmensdienste. Der Betriebswirt und Bilanzbuchhalter absolvierte berufsbegleitend ein MBA-Studium mit den Schwerpunkten Personal und Marketing.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

21458

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel