Ökonomie trifft Technik – Blockchain-Technologie bringt ganz großes Rad zum Rollen

Von   Dr. Robert Bosch   |  Partner   |  BearingPoint
8. August 2017

Die Blockchain als verteiltes Register (Distributed Ledger) beruht auf uralten ökonomischen Prinzipien. Wenn zwei Menschen etwa eine Ehe schließen, so ist es in der Regel eine Bedingung, dass dies öffentlich zu geschehen hat – so weiß die gesamte Community über das eingegangene Vertragsverhältnis Bescheid. Das Wissen über den Vertrag ist dezentral in den an der Gemeinschaft beteiligten Köpfen abgespeichert. Vertrauen in und Stabilität von Verträgen und Abmachungen sind durch dieses Prinzip als Grundbedingungen für erfolgreich gelingende Austauschbeziehungen der Mitglieder einer Gemeinschaft gelegt, ob in persönlichen oder in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Es zählt das öffentliche Statement, das Verbindlichkeit und Vertrauen schafft. Mit dem Aufkommen des Schrifttums wurden solche öffentlichen Ereignisse zur zusätzlichen dokumentarischen Unterstützung auch in zentralen Registern erfasst. Über Kirchen- und Gemeindebücher sind etwa Stammbäume, aber auch Eigentumsverhältnisse in einer viele Jahrhunderte zurückreichenden Kette verfolgbar, auch nachdem die Erinnerungen daran in den Köpfen der Menschen vielleicht schon verblasst sind. Zusätzlich zu diesen zentralen Registern erhalten die beteiligten Individuen auch beglaubigte Urkunden, Zeugnisse oder Zertifikate über ihre Identität und eingegangenen Vertragsverhältnisse, die sie dezentral verwahren und als vertrauensbildenden Nachweis jederzeit vorzeigen können. Die Blockchain-Technologie bringt den unverkennbar hohen, wenn nicht unverzichtbaren Nutzen solcher zentraleren Register und dezentralen Dokumente heute quasi von der Offline-Gesellschaft ins Internet 4.0.

Vom ersten Bitcoin im Jahr 2009 zu heute über 100 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung

Technik wird immer erst durch den ökonomischen Nutzen, den sie ihren Anwendern verschafft, zum Leben erweckt. Die Blockchain-Technologie begann 2009 über den Bitcoin als Kryptowährung mit der Geldfunktion. Das ist die mächtigste Funktion in einer Volkswirtschaft überhaupt. Beim Geld geht es neben dessen technischen Eigenschaften vor allem um Angebot und Nachfrage sowie Vertrauen. Laut einer kürzlich von BearingPoint repräsentativ durchgeführten Studie unter Befragten in Deutschland punkten Kryptowährungen vor allem bei jungen Leuten hinsichtlich der Zahlungsmittelfunktion. Unter der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen sieht es mit 47,8 Prozent knapp die Hälfte der Befragten als sehr oder eher wahrscheinlich an, dass Kryptowährungen die derzeitigen staatlichen Währungen als Zahlungsmittel ablösen. Für die Gesamtbevölkerung sind dies mit 34 Prozent immerhin mehr als ein Drittel. Rund 70 der Bevölkerung kennen Kryptowährungen. Und die tatsächliche Nutzung von Kryptowährungen hat sich binnen eines Jahres von 5 Prozent im Jahr 2016 auf 11 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2017 mehr als verdoppelt. Etwa ein Drittel der Bevölkerung stuft Kryptowährungen bereits gegenüber staatlichen Währungen als bevorzugte Anlageform ein (31 Prozent), hält sie für vertrauenswürdig hinsichtlich der Preisstabilität (32 Prozent) und für eine geeignete Recheneinheit (36 Prozent). Die Nachfrage nach Kryptowährungen als Geld ist damit längst kein rein theoretisches Konstrukt mehr, wie ursprünglich einmal im White Paper des Bitcoin-Erfinders Satoshi Nakamoto. Sie liegt als ökonomische Größe faktisch vor: Einmal durch die bestehende Marktkapitalisierung der Kryptowährungen, die derzeit insgesamt über hundert Milliarden US-Dollar beträgt, und auch in den abgefragten Motiven und Erwartungen der Menschen zu Kryptowährungen.

Die Blockchain-Technologie hinter Kryptowährungen ist offen für Wettbewerb und Evolution

Bei einer Blockchain erhält jeder Nutzer in einem solchen Netzwerk eine Kopie des gesamten Registers. Bei Kryptowährungen ist das das Transaktionsregister, das den Währungsaustausch zwischen allen Nutzern dokumentiert. Die Regeln einer Kryptowährung wie etwa Geldmenge und Geldmengenwachstum, sind anders als etwa bei staatlichen Währungen vorab technisch festgelegt und garantiert. Wenn ein Nutzer seine Kryptowährungsbestände manipulieren wollen würde, etwa sich reicher machen, als er ist, könnte er z. B. versuchen, Veränderungen an seiner digitalen Geldbörse (Wallet) durchzuführen. Da jedoch jeder Teilnehmer im Netz über die gesamte Transaktionshistorie verfügt, wäre sein manipulierter Währungsbestand nicht mehr kompatibel mit der Buchführung des Netzes und damit im Netzwerk ungültig und entwertet. Offenkundig ist zu erkennen, dass es technisch nahezu unmöglich ist, die Kopien eines verteilten Registers im gesamten Netzwerk zu verändern. Dies macht die Sicherheit von Kryptowährungen aus. Die staatliche Währung kann im Vergleich dazu technisch gesehen z. B. hinsichtlich ihrer Menge fast beliebig ausgeweitet werden, selbst wenn vorher andere Regeln juristisch beschlossen wurden. Es gibt also keine technische Garantie. Zugriff auf seine eigene Wallet, um Zahlungen zu tätigen, hat man über einen privaten Schlüssel (eine Art Geheimzahl), Zahlungen entgegennehmen kann man über eine öffentliche Adresse (ähnlich der Kontonummer). Jeder Nutzer entscheidet freiwillig selbst, ob er an einem solchen Netzwerk teilnehmen will, oder nicht und zu welchem Preis er eine Kryptowährung erwirbt. Auf diese Weise gibt es anders als beim Geldmonopol der Zentralbanken einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Kryptowährungen, aus denen sich diejenigen herauskristallisieren, welche die Geldfunktionen am besten erfüllen. Während früher für die Nomaden der Steinzeit Ziegen und Rinder das richtige Geld waren, später für die sesshaften Menschen Gold und Silber, dann für die Händler das Buch-, Papier- und Münzgeld der Banken, so sind es heute für die digital Natives sehr wahrscheinlich die Kryptowährungen.

Unschwer ist zu erkennen, dass die Blockchain-Technologie nicht nur bei der Bewältigung der Währungsfunktion entscheidende Vorteile bringt. Grundbücher, KFZ-Briefe, digitale Personenidentitäten, Vertragsverhältnisse aller Art und vieles mehr, lassen sich durch sie abwickeln. Diesen Prozess können die Marktakteure unabhängig von Dritten wie zum Beispiel Banken, Ämtern, oder Beglaubigungsstellen autonom durchführen. Dadurch entfallen Verwaltungskosten fast vollständig. Auch Prinzipal-Agent-Konflikte, Vertrauensprobleme oder Abhängigkeit gegenüber vermittelnden Drittstellen, die oft zu schädlichen Monopolen heranwachsen, entfallen. Sämtliche Austauschverhältnisse am Markt werden so in ihrer Effizienz exponentiell gesteigert. Die informationstechnische Verschmelzung von zentralen Registern und dezentralen Dokumenten innerhalb einer Technologie ist in dieser Form völlig neu. Die Blockchain-Technologie bringt daher ein ganz großes Rad zum Rollen hin zu einer Ökonomie 4.0 und leitet so ein neues High Five von Ökonomie und Technik ein.

Dr. Robert Bosch ist Partner bei BearingPoint und gehört der Banking & Capital Markets Group in Deutschland an. Der Schwerpunkt seiner Beratungstätigkeit liegt auf der Schnittstelle von Unternehmensstrategie, Kapitalmarktprozessen und Kapitalmarkt-Compliance. Mit diesen Schwerpunkten berät er seit über 15 Jahren Kunden insbesondere in Europa, dem Nahen Osten und Asien. Er hat zahlreiche wegweisende Artikel zu Kapitalmarktthemen veröffentlicht und leitet darüber hinaus aktuell ein Innovationsteam, das Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie für den Kapitalmarkt entwickelt.

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