Quelle: Envato Elements

Die Zukunft von Edge und Cloud im IoT

Von   Carsten Mieth   |  Senior Vice President, Head of Telecommunications, Media & Technology bei Atos   |  Atos
24. Februar 2022

Cloud und Edge Computing ermöglichen Industrieunternehmen Lösungen für das Industrial IoT, Datenanalysen und digitale Geschäftsmodelle. Beide Technologien wachsen immer stärker zusammen und bilden das neue Modell für die Industrie-IT. Aber wie sieht diese Zukunft konkret aus?

Edge Computing ist nicht mehr aus Anwendungen für das Industrial IoT (Internet of Things) wegzudenken. Viele digitale Geschäftsmodelle erfordern den Einsatz von Edge Computing, um alle Daten sinnvoll zu erfassen und analysieren. Die Cloud allein reicht dafür nicht aus, denn die Daten sind in vielen Fällen sehr umfangreich. Wenn etwa tausende Sensoren gebündelt werden, ist die Bandbreite der verfügbaren Internetverbindung schnell erschöpft. Also sollten nur aggregierte und bereits teilweis eanalysierte Daten in die Cloud gelangen. Die typische Hardware dafür sind Microcontroller oder Kleinstcomputer wie der Raspberry Pi. Die Kosten der Geräte sind damit überschaubar, doch ihre Leistung reicht nicht immer aus.

Anspruchsvolle Aufgaben erfordern Rechenkapazität vor Ort

Mit zunehmender Digitalisierungsreife wollen Unternehmen anspruchsvollere Aufgaben mit Edge Computing und dem Industrial IoT erfüllen. Ein typisches Beispiel ist die Überwachung von Betriebsgeländen aller Art mit Kameras und dafür geeigneten KI-Anwendungen, die beispielsweise Gefahrensituationen erkennen. Doch hier entsteht ein Problem: Kameras mit höherer Auflösung erzeugen enorme Datenströme – bei einer 8K-Kamera können das schon mal 100 Mbit pro Sekunde und Kamera sein. Das Versenden solcher Datenmengen in die Cloud ist angesichts der begrenzten Bandbreite unrealistisch, vor allem in Situationen, die eine rasche Auswertung erfordern. So eine Situation könnte beispielsweise die automatische Alarmierung von Aufsichtspersonal in einem Bahnhof sein, sobald eine Person den Gleiskörper betritt.

Hierfür muss die automatisierte Auswertung der Bilder vor Ort erfolgen – und das können heute leistungsfähige Edge-Server möglich machen. Sie können mit ihrer hohen Rechenkapazität Videoströme in Echtzeit auswerten und nur Teile des Streams in die Cloud senden – etwa als Referenz, wenn eine Gefahrensituation erkannt wurde. Die KI-Anwendung kann darauf basierend dann sogleich einen Alarm auslösen.

Edge Computing erlaubt den breiten Einsatz von KI

Neben der begrenzten Bandbreite bereitet auch die hohe Latenz (entfernungsbedingte Zeitverzögerung) von Cloud-Verbindungen Schwierigkeiten. Zahlreiche industrielle Anwendungen erfordern kurze Antwortzeiten. Eine Auswertung von Daten in der Cloud kann dies nicht garantieren. Ein Beispiel dafür ist das Überwachen von Maschinen und Anlagen mit Machine Learning (ML): Das System erlernt dabei anhand von historischen Daten die Anzeichen einer bevorstehenden Störung. Sobald diese Werte erkannt werden, muss das System reagieren und das Bedienpersonal alarmieren.

Damit solche ML-Modelle korrekt funktionieren, müssen sie mit großen Datenmengen trainiert werden. Dafür hat sich eine Zweiteilung etabliert: Cloud Computing hilft mit seinen großen Ressourcen beim Training der Modelle, Edge Computing führt die trainierten Modelle aus. Letzteres ist weniger speicherhungrig als die Trainingssysteme. Damit erreichen die Anwender:innen die schnellen Reaktionen, mit denen viele KI-Anwendungen überhaupt erst möglich werden. Kurz: Edge Computing macht KI einfacher und breiter einsetzbar. Die Entwicklung in den Unternehmen zeigt eindeutig in diese Richtung. Laut neuerer Studien [1] nutzen bereits jetzt 73 Prozent der großen und fast 60 Prozent der kleineren Unternehmen Machine Learning.

Eine ähnlich starke Verbreitung haben digitale Zwillinge. Sie bilden die tatsächliche Produktionsprozesse auf virtuelle digitale Modelle ab und füttern diese mit Daten in Echtzeit. Das Einsatzgebiet ist Überwachung, Steuerung und Simulation. So kann ein digitaler Zwilling einfach demonstrieren, wie sich Veränderungen in den Prozessen auswirken würden, und ermöglicht dank der Echtzeitdaten Sofortentscheidungen.

Edge und Cloud arbeiten zusammen

Viele Analysten [2] gehen davon aus, dass sich Edge Computing durch solche Anwendungsgebiete zu einem exponentiell wachsenden Markt entwickeln wird.

Die Edge hat also großes Zukunftspotenzial und es zeigt sich, dass immer mehr zeitkritische Aufgaben der Cloud dorthin wandern. So werden Teile von IoT-Stacks in der Edge ausgeführt. Die Hyperscaler und viele kleinere Dienstleister erweitern ihre Cloudangebote um Edge-Services. Dabei nutzen die Kund:innen sogenannte „Edge Appliances“, die an ihrem Standort betrieben und vom Dienstleister fernverwaltet werden.

Diese Zusammenarbeit von Edge und Cloud wird bald zum Normalzustand in der industriellen IT werden. Doch das bringt für die Unternehmen neue Sicherheitsanforderungen, denn im Zeitalter digitaler Geschäftsmodelle hält sich die strikte Trennung zwischen IT und Operational Technology (OT) nicht mehr. Alle Edge-Devices sowie die darüber vernetzten Maschinen und Anlagen werden mit zertifizierten Geräte-Identitäten versehen und können darüber zweifelsfrei erkannt und mit Zugriffsrechten auf zentrale Ressourcen versehen werden. Gleichzeitig führen Unternehmen neue Security-Konzepte ein, beispielsweise das „Zero Trust“-Paradigma. Es verzichtet auf Annahmen wie „Im LAN ist alles sicher“ oder „Die Gefahr kommt von draußen“. Stattdessen setzt es auf gegenseitige Authentifizierung und die Überprüfung der Identität und Integrität aller Geräte. Dafür genutzt werden Schlüsseltechnologien für IT-Security wie IAM (Identity & Access Management) oder die Vergabe von Zertifikaten für die Identifizierung der Geräte. Laut einer IDG-Studie [3] nutzen bereits 38 Prozent der befragten Unternehmen ein Zero-Trust-Modell, 41 Prozent sind gegenwärtig in der Implementierung.

Ein Cloud-Ökosystem für mehr Datensouveränität

Aus Sicht vieler Unternehmen gehört zum Themenfeld Sicherheit auch das Thema Datensouveränität. Darunter wird die größtmögliche Kontrolle über die eigenen Daten verstanden, um sie zum Beispiel vor Zugriffen fremder Regierungen zu schützen. Das einschlägige Beispiel: Die staatlichen Organe der USA fordern bei Ermittlungen in US-Unternehmen auch den Zugriff auf die Daten in Non-US-Niederlassungen. Über den Umweg von Appliances der Hyperscalern wäre das theoretisch auch in der Edge möglich.

Für ihre Datensouveränität sollten Unternehmen für alle personenbezogenen Daten auf eine Lösung setzen, die zwei Kriterien erfüllt: Einerseits die genormten Kriterien des Datenschutzes – dies wird durch Audits und Zertifizierungen wie SOC-2 oder ISO 27001 bestätigt. Gleichzeitig steht die Lösung überdies unter dem ausschließlichen Regime europäischer Gesetze und Bestimmungen. In zahlreichen Fällen werden sich Unternehmen deshalb (vorläufig noch) für eine Private Cloud entscheiden, obwohl ein regelmäßig geprüfter und zertifizierter Cloud-Dienst oft reell sicherer ist.

Klar ist: Für datenbasierte Geschäftsmodelle oder Datenplattformen ist eine Alternative zu den Public Clouds der Hyperscaler gefragt, die ähnlich funktionsreich und leistungsfähig ist. Eine solche Alternative sucht das EU-weite Projekt Gaia-X [4] zu entwickeln. Ziel ist dabei nicht die Schaffung eines neuen Hyperscalers. Stattdessen sieht das Projekt eine europaweite, vernetzte Dateninfrastruktur vor, basierend auf Open Source Software (OSS). Damit werden unterschiedliche zentrale und dezentrale Infrastrukturen zu einem gemeinsamen System vernetzt. Das Ziel ist ein vertrauenswürdiges digitales Ökosystem aus europäischen und globalen Cloudprovidern und deren Angeboten.

Mit der zunehmenden Verschmelzung von Edge und Cloud Computing, dem Einsatz von OSS-Stacks sowie einem „datensouveränen“ Cloud-Ökosystem stehen alle Elemente für erfolgreiche, hoch skalierbare digitale Geschäftsmodelle bereit. Dadurch haben Unternehmen in Zukunft die Garantie, ihre industrielle IT sicher, datenschutzrechtlich unbedenklich und ohne Vendor-Lock-In betreiben zu können.

Quellen und Referenzen:

[1] https://www.computerwoche.de/a/ml-und-ki-machen-in-deutschland-boden-gut,3551502

[2] https://www.reply.com/de/topics/cloud-computing/from-cloud-to-edge

[3] https://www.computerwoche.de/a/die-it-sicherheit-braucht-eine-neuorientierung,3549665

[4] https://www.gaia-x.eu/

leitet das Telekommunikations-, Medien- und Technologiegeschäft von Atos in Zentraleuropa. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im ITC-Bereich und war vor seiner Karriere bei Atos in verschiedenen großen IT-Unternehmen wie TechMahindra und T-Systems in leitenden Funktionen tätig.

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