KI aus Sicht von Ärzten, Anwälten und Politikern

Von   Clara Krabatsch   |  Produktmanager   |  Toll Collect GmbH
  Prof. Dr. Jens Nachtwei   |  Researcher   |  HUB, HAM, IQP
27. November 2020

Kollegin Künstliche Intelligenz

Heutzutage prägen Schlagworte wie Digitalisierung (Meyer et al., 2020), Industrie 4.0 (Krzywdzinski et al., 2015), Künstliche Intelligenz (McKendrick, 2019) oder auch Automation und Robotik (Malik et al., 2019) die mediale Landschaft. Betrachtet man diese Begriffe etwas genauer, ist die Digitalisierung per se schon ein vertrauter Wegbegleiter. Anders hingegen die Künstliche Intelligenz (KI), welche mit den weitreichenden Möglichkeiten zur Automation beruflicher Tätigkeiten immer noch mit Unsicherheiten und Unwissenheit verbunden ist.

Doch die Einsatzgebiete für KI – ob als reine Software oder als nächste Evolutionsstufe für Roboter – wachsen in rasantem Tempo und verändern die Arbeitswelt und Wirtschaftsprozesse, wie sie bislang bestanden (Prettner et al., 2018; Flemming et al., 2019). Daraus resultieren starke Unsicherheiten der wirtschaftlichen Akteure. Denn bis dato können keine eindeutigen Aussagen getroffen werden, welche Qualifikationen zukünftig erforderlich sein werden, welche Jobs in welchem Maße tatsächlich ersetzt werden und wie hoch die Akzeptanz der Belegschaft sein wird.

Gespalten in zwei Lager der überzeugten Hoffnungsträger und zweifelnden Skeptiker werden bei der Einführung von KI zur Automation beruflicher Tätigkeiten zahlreiche Vor- und Nachteile diskutiert. So stehen die Chancen von Arbeitsentlastung, besseren Prozessen und gesenkten Kosten (Servoz, 2019; Frank et al., 2019; Hamann & Wagner, 2015) den Ängsten vor technologiebedingter Arbeitslosigkeit und steigender sozialer Ungleichheit (McClure, 2018; Schuppisser, 2019) gegenüber. Weitere Perspektiven werfen Fragen über den ethischen Handlungsrahmen bzw. Grenzen und Regeln zum Einsatz von KI auf (Tschopp & Ruef, 2019).

KI aus Sicht zukünftig Betroffener

Die bisherigen Debatten waren fruchtbar, jedoch fehlt oft die empirische Basis für Argumente pro und contra KI. Daher verfolgten wir einen empirischen Zugang, um einen Beitrag aus Sicht der Wirtschaftspsychologie zu leisten.

Die hier dargestellte Interviewstudie verfolgte das Ziel, die wichtigsten Aspekte der Zukunftsaussichten von KI in der Arbeitswelt zu beschreiben – und zwar aus Sicht von hochqualifizierten Führungskräften mit sehr hohem Arbeitspensum, da diese Zielgruppe eine bislang unbeachtete Perspektive bot. Es wurde sich für ein leitfadengestütztes Telefoninterview zur Erhebung der Daten entschieden. Die Fragestellung sowie der Interviewleitfaden wurden theoriebasiert sowie aus Vorarbeiten des Forschungsprojekts deepR (Digital Era Evidence-based Psychological Research) hergeleitet. Der Leitfaden enthielt insgesamt 31 Fragen: Bspw. (1) Hatten Sie schon Berührungspunkte mit KI in Ihrem Berufsalltag? (2) Welche Aufgaben hat eine KI bereits in Ihrem Berufsalltag automatisiert? (3) Würden Sie gern mit einer KI zusammenarbeiten? (4) Können Sie einige Chancen von KI-bedingter Automation nennen? (5) Können Sie einige Risiken von KI im beruflichen Alltag nennen? (6) Welchen Zeithorizont sehen Sie bis zum Eintritt der von Ihnen genannten Chancen von KI?

Die während des Interviews notierten Antworten der Studienteilnehmer bildeten die Datenbasis für die Auswertung. Anschließend wurde eine qualitative Inhaltsanalyse orientiert nach Mayring (2010) durchgeführt.

Interviewstudie zu KI im Arbeitsalltag

In der Studie wurden insgesamt 16 sogenannte Domänen-Experten mit Hochschulabschluss aus den Arbeitsbereichen Medizin (5 Personen), Rechtswesen (6 Personen) und Politik (5 Personen) interviewt. Die Vertreter der Stichprobe waren durchschnittlich 55,4 Jahre alt, verfügten über im Mittel 26 Jahre Berufserfahrung und leiteten durchschnittlich 16 Mitarbeiter. Ihre mittlere Arbeitszeit betrug 61 Stunden in der Woche. Insgesamt 15 der 16 befragten Experten gaben an, bereits vom Einsatz einer KI in ihrer Branche gehört zu haben. 7 Teilnehmer hatten zudem eigene Berührungspunkte mit KI im beruflichen Alltag. Diese gaben an, im Durchschnitt 3,6 Mal pro Woche mit einer KI in Kontakt zu kommen. 5 Teilnehmer bemerkten eine spürbare Veränderung ihres Berufsalltags durch KI.

Als bereits durch KI automatisierte Tätigkeiten wurden Übersetzungen, Sortierung/Analyse von Informationen sowie das Erstellen von Dokumenten/Texten genannt. Die Befragten gaben alle an, Potenzial in ihrem beruflichen Alltag in der Automatisierung von Tätigkeiten durch eine KI zu sehen. Sie schätzten ein, dass in 7,9 Jahren (Mittelwert) ein flächendeckender Einsatz von KI in ihrer Branche zu erwarten sei.

Mit Blick auf die Akzeptanz von KI im Berufsalltag gaben 15 der 16 Befragten an, grundsätzlich für den Einsatz von KI in ihrer Branche zu sein. 14 Interviewteilnehmer gaben an, gern mit einer KI zusammenzuarbeiten, während 2 eine neutrale Einstellung nannten. Außerdem schätzten 15 Befragte die Haltung ihrer Mitarbeiter als positiv ein. Auf die Frage nach eigenen Gefühlen, wenn man an den Einsatz einer KI im persönlichen Berufsalltag denkt, konnten positive, als auch negative Gefühle dokumentiert werden. Hierzu zählten Erleichterung, Neugier, Freude und Faszination sowie Skepsis, Vorsicht, Druckgefühle und Angst.

Bei der Untersuchung der Chancen von KI nannten 13 Befragte, dass sie eine deutliche Arbeitsentlastung durch KI-bedingte Automation in ihrem persönlichen Berufsalltag sehen, 14 Interviewte auch für ihre Mitarbeiter. Alle Interviewteilnehmer nannten eine merkliche oder erwartete Effizienzsteigerung im Berufsalltag. Allerdings konnte sich dennoch keiner der Interviewten vorstellen, dass sich das eigene Arbeitspensum durch den Einsatz einer KI verringern würde.

Auch die identifizierten Risiken zeigten Handlungsfelder und Herausforderungen auf. 13 der befragten Führungskräfte waren der Meinung, dass keine Stelle in ihrem Team vollständig durch eine KI ersetzbar wäre. Angemerkt wurde jedoch auch die Notwendigkeit einer Veränderung oder Umstrukturierung der Aufgaben zum Erhalt von Stellen. Lediglich ein Befragter hielt den Wegfall seiner eigenen Stelle für möglich.

KI als Heilsbringer oder Gefahr?

Mittels der hier dargestellten Studie konnten zahlreiche Ergebnisse früherer Forschung zum Einsatz (vgl. z.B. Hacker, 2016) sowie zu Vorteilen (u.a. Gansser 2019; Deloitte, 2020; Ernst et al., 2019) von KI im Berufsalltag bestätigt werden. Im Vordergrund standen hierbei deutliche Effizienzgewinne, Arbeitserleichterung, Leistungen über menschlichen Grenzen hinweg sowie Kostenersparnisse. Interessanterweise konnte sich trotz des erwarteten Freiwerdens von zeitlichen Ressourcen durch KI-Unterstützung keiner der Befragten eine Senkung des Arbeitspensums vorstellen. Die Grundhaltung gegenüber KI sowie KI-bedingter Automation war deutlich positiv. Gleiches gilt für wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der Risiken und Herausforderungen – auch hier konnten Parallelen zu bestehenden Erkenntnissen der Forschung (vgl. Choi & Kang, 2019; Peters et al., 2019; Chomanski, 2019) gezogen werden. Die erkannten Risiken müssten ernst genommen und frühzeitig thematisiert werden. Besonders besorgniserregend empfanden die Befragten ein mögliches Verlernen der Ausführung der eigenen Tätigkeit, eine Verselbstständigung der Technik, Themen der Datensicherheit oder auch Missbrauchspotenziale.

N=16                         Chancen Häufigkeit

(Mehrfachnennung möglich)

Effizienzgewinne 20
Arbeitserleichterung 15
Verbesserte Arbeitsleistung 10
Arbeitsleistung über menschliche Grenze 7
Mehr Zeit für anderes 6
Kostenersparnisse 6
Übernahme von Routinetätigkeiten 5
Objektivität 4
Zuverlässigkeit 4
Übernahme lästiger Tätigkeiten 3
Wettbewerbsvorteile 2
Gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit 1
Aktualität durch Selbstlernen 1
Verbessertes Marketing 1
Gesteigerte Mitarbeitermotivation 1
Gesamt 86

Abb. 1: Chancen von KI im Arbeitsalltag aus Sicht von 16 interviewten Domänen-Experten aus Medizin, Rechtswesen und Politik

N=16                            Risiken Häufigkeit

(Mehrfachnennung möglich)

Verlernen der Ausführung 7
Verselbständigung 6
Missbrauchspotenzial 6
Mangelnde Nachvollziehbarkeit 5
Abhängigkeit von Rahmenbedingungen 4
Datensicherheit 4
Ethische Fragestellungen 4
Mangelnde menschliche Eigenschaften 4
Fehler im technischen System 4
Stellenstreichungen 4
Soziale Ungerechtigkeit 3
Mangelnde Zuverlässigkeit 3
Mangelnde Individualität 3
Auswahl der Möglichkeiten 3
Militärische Zwecke 3
Maschine als Konkurrenz 2
Blindes Vertrauen 2
Burnout Gefahr 2
Fehler in den Daten 2
Aufwand Datenbeschaffung 1
Blockade Deutsche Mentalität 1
Aktivität gegen Menschen 1
Wettbewerbsdruck 1
Schaffung von Regeln, Normen, Standards 1
Neue Definition Arbeitsleistung notwendig 1
Gesamt 77

Abb. 2: Risiken von KI im Arbeitsalltag aus Sicht von 16 interviewten Domänen-Experten aus Medizin, Rechtswesen und Politik

Herausforderung KI für Führungskräfte

Breite Einsatzmöglichkeiten von KI-bedingter Automation werden aktuell vordergründig in den Bereichen Wissensmanagement, Übersetzungen sowie der Erstellung von Schriftstücken gesehen. Führungskräfte werden durch die Einführung von KI in der Arbeitswelt vor neuen Herausforderungen stehen, wobei die erfolgreiche Einführung maßgeblich von ihrem Verhalten sowie der entsprechenden Akzeptanz der Mitarbeiter abhängt. Die hier befragten Experten sehen es als Führungsaufgabe an, die Mitarbeiter im Umgang mit KI zu befähigen, zu motivieren sowie Ängste und Hürden zu thematisieren.

Von Politik und Wirtschaft hingegen wird erwartet, einen umfassenden Rahmen aus Regeln und Normen zu schaffen, um langfristig einen flächendeckenden und vertrauensvollen Einsatz in Wirtschaft und Verwaltung zu ermöglichen. Unklar ist, wann die Chancen und Risiken in der Arbeitswelt prominent werden – dass die „Kollegin KI“ einen Unterschied machen wird, ist hingegen unbestritten. Es liegt an uns, den Umgang mit ihr zu gestalten und die Arbeitswelt menschenwürdig zu erhalten.

 

Quellen und Referenzen:

Choi, D. Y., & Kang, J. H. (2019). Introduction: The Future of Jobs in an Increasingly Autonomous Economy. Journal of Management Inquiry, 28(3), 298–299. https://doi.org/10.1177/1056492619827373

Chomanski, B. (2019). Massive Technological Unemployment Without Redistribution: A Case for Cautious Optimism. Science and Engineering Ethics, 25(5), 1389–1407. https://doi.org/10.1007/s11948-018-0070-0

Deloitte. (2020). State of AI in the Enterprise—3rd Edition—Ergebnisse der Befragung von 200 AI-Experten zu Künstlicher Intelligenz in deutschen Unternehmen (S. 21) [Studienergebnisse]. Deloitte. https://www2.deloitte.com/de/de/pages/technology-media-and-telecommunications/articles/ki-studie-2020.html

Ernst, E., Merola, R., & Samaan, D. (2019). Economics of Artificial Intelligence: Implications for the Future of Work. IZA Journal of Labor Policy, 9(1). https://doi.org/10.2478/izajolp-2019-0004

Flemming, M., Clarke, W., Das, S., Phongthiengtham, P., & Reddy, P. (2019). The Future of Work: How New Technologies Are Transforming Tasks. IBM. https://mitibmwatsonailab.mit.edu/wp-content/uploads/2019/10/The-Future-of-Work-How-New-Technologies-Are-Transforming-Tasks2.pdf

Frank, M. R., Autor, D., Bessen, J. E., Brynjolfsson, E., Cebrian, M., Deming, D. J., Feldman, M., Groh, M., Lobo, J., Moro, E., Wang, D., Youn, H., & Rahwan, I. (2019). Toward understanding the impact of artificial intelligence on labor. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(14), 6531–6539. https://doi.org/10.1073/pnas.1900949116

Gansser, O. (2019). FOM Sommerumfrage 2019—Künstliche Intelligenz in Deutschland—Meinung und zukünftige Einschätzung [Studienergebnisse]. ifes Institut für Empirie & Statistik – FOM Hochschule für Ökonomie & Management. https://www.fom.de/uploads/forschungsprojekte/downloads/FOM_ifes_Sommerumfrage_2019.pdf

Hacker, W. (2016). Vernetzte künstliche Intelligenz / Internet der Dinge am deregulierten Arbeitsmarkt: Psychische Arbeitsanforderungen. Psychologie des Alltagshandelns, Vol. 9(No. 2), 4–21.

Hamann, C., & Wagner, L. (2015). Chancen und Risiken von Big Data. Ökologisches Wirtschaften – Fachzeitschrift, 30(3), 10. https://doi.org/10.14512/OEW300310

Krzywdzinski, M., Jürgerns, U., & Pfeiffer, S. (2015). Die vierte Revolution Wandel der Produktionsarbeit im Digitalisierungszeitalter. WZB Mitteilungen, Heft 149, 6–9.

Malik, A. A., Schweisfurth, T., & Giones, F. (2019, November 7). Are „cobots“ the future of work? World Economic Forum. https://www.weforum.org/agenda/2019/11/future-generation-robots-work-with?linkId=100000008932675

Mayring, P. (2010). Qualitative Inhaltsanalyse. In G. Mey & K. Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (S. 601–613). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92052-8_42

McClure, P. K. (2018). “You’re Fired,” Says the Robot: The Rise of Automation in the Workplace, Technophobes, and Fears of Unemployment. Social Science Computer Review, 36(2), 139–156. https://doi.org/10.1177/0894439317698637

McKendrick, J. (2019, November 27). Artificial Intelligence Not Seen As A Job-Killer, Yet. Forbes. https://www-forbes-com.cdn.ampproject.org/c/s/www.forbes.com/sites/joemckendrick/2019/11/27/artificial-intelligence-not-seen-as-a-job-killer-yet/amp/

Meyer, U., Schaupp, S., & Seibt, D. (2020). Digitalization in Industry: Between Domination and Emancipation. Springer International Publishing AG. https://public.ebookcentral.proquest.com/choice/publicfullrecord.aspx?p=5979078

Peters, M. A., Jandrić, P., & Hayes, S. (2019). The curious promise of educationalising technological unemployment: What can places of learning really do about the future of work? Educational Philosophy and Theory, 51(3), 242–254. https://doi.org/10.1080/00131857.2018.1439376

Prettner, K., Geiger, N., & Schwarzer, J. A. (2018). Die Auswirkungen der Automatisierung auf Wachstum, Beschäftigung und Ungleichheit. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 19(2), 59–77. https://doi.org/10.1515/pwp-2018-0017

Schuppisser, R. (2019, November 27). Jobverlust wegen Digitalisierung: Akademiker sind fünfmal so stark gefährdet wie Handwerker. Tagblatt. https://www-tagblatt-ch.cdn.ampproject.org/c/s/www.tagblatt.ch/amp/leben/jobverlust-akademiker-sind-fuenfmal-so-stark-gefaehrdet-wie-arbeitnehmer-ohne-hoehere-bildung-ld.1172236

Servoz, M. (2019). The Future of Work? Work of the Future! On how artificial intelligence, robotics and automation are transforming jobs and the economy in Europe. European Commission. https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/future-work-work-future

Tschopp, M., & Ruef, M. (2019). Artificial Intelligence—Is it worth the risk? [Titanium Trust Report]. https://www.researchgate.net/publication/336849066_Artificial_Intelligence_-_Is_it_worth_the_risk

 

studierte Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für angewandtes Management Berlin und untersuchte in ihrer Masterarbeit die Zukunftsaussichten von Künstlichen Intelligenzen in der Arbeitswelt.

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