KI, ick hör dir trapsen. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort?

Von   Lioba Gierke   |  Doktorandin   |  WHU - Otto Beisheim School of Management
  Prof. Dr. Jens Nachtwei   |  Researcher   |  HUB, HAM, IQP
20. März 2020

Der Beitrag diskutiert das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als mögliche Antwort unter vielen auf die zunehmende Automation von bisher menschlicher Arbeit durch Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik aus vorwiegend psychologischer Perspektive.
„Künstliche Intelligenz“ (KI) ist eines, wenn nicht das zentrale Trend-Thema im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs. Während in der Bevölkerung noch viel Unwissenheit über KI und mögliche Anwendungsfelder herrscht, forscht und entwickelt die Industrie auf Hochtouren – Arbeitsprozesse sollen optimiert und die Produktivität gesteigert werden. Aber nicht nur in der Industrie, auch im Dienstleistungssektor finden Algorithmen zunehmend Anwendung. Während KI und KI-getriebene Robotik im Fokus der öffentlichen Debatten stehen, ist streng genommen die Folge beider technologischer Strömungen für den Menschen der heutigen Industriegesellschaft die wichtigere: Automation. Denn KI und Robotik optimieren den Menschen, können ihn jedoch auch vollständig ersetzen – ein Szenario der Vollautomation, wie es beispielsweise beim autonomen Fahren deutlich wird.

Bis zu 59% der Arbeitsplätze in Deutschland seien von der voranschreitenden Technologisierung bedroht, so die Ökonomen Carsten Brzeski und Inga Burk (2015). Andere Studien sind hier defensiver und sprechen von rund 10 Prozent – Einigkeit besteht weniger in der Prognose selbst, denn mehr in der Ahnung bis Gewissheit, dass diese unsicher ist. Während in der ersten industriellen Revolution neue technologische Entwicklungen wie die Dampfmaschine den Menschen in der Produktion von Routinetätigkeiten befreiten, hält KI zunehmend auch Einzug in den Arbeitsalltag all derjenigen, die kognitiv anspruchsvollere Tätigkeiten außerhalb der Produktion ausüben wie Bank- und Verwaltungsangestellte. Die KI bzw. der KI-bewährte Roboter wird aus unternehmerischer Sicht zum besten Mitarbeiter, denn sie hat nicht nur null Krankheitstage vorzuweisen, sondern wird auch niemals müde, ist weniger fehleranfällig und häufig schneller.

Als zunächst weniger durch KI ersetzbar gelten zwar all die Tätigkeiten, die besonders soziale Kompetenzen und Empathie voraussetzen, wie Pflege- und Lehrberufe. Wie lange dieser menschliche Vorsprung jedoch aufrechterhalten werden kann, ist fraglich. So geht der Ökonom Richard Baldwin davon aus, dass in 50 Jahren künstliche Intelligenzen auch menschliche soziale Fähigkeiten besitzen (2019). KI-Experten mit entsprechender technischer Expertise sind sich hierbei uneins, viele jedoch prognostizieren ebenfalls in den 50er bis 60er Jahren des 21. Jahrhunderts eine KI auf menschlichem Niveau und darüber. Und natürlich ist da noch die kleine Elite aus hochspezialisierten Fachkräften. Ihre Expertise lässt sich nicht so leicht ersetzen, was sie zu den Gewinnern der digitalen Transformation machen könnte. Auf den Erwerbstätigen ohne spezielle Qualifikationen und Kompetenzen könnten schwere Zeiten zukommen, Zeiten mit immer länger währenden Phasen von Arbeitslosigkeit und Fortbildungen sowie von Umschulungen aufgrund fehlender beruflicher Perspektiven.

Bedingungsloses Grundeinkommen als neue Gesellschaftsform

Falls sich diese Prognose bewahrheitet und wir als Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten auf ein flächendeckendes Arbeitsplatz-Defizit zusteuern, muss auf jeden Fall eines sichergestellt werden: Die wirtschaftliche Grundsicherung der Bevölkerung. In einer Gesellschaft, in der es nicht mehr genügend Arbeit im herkömmlichen Sinne für alle gibt, kann sich eine Regierung die Vollbeschäftigung nicht mehr zum Ziel setzen, sondern muss neue Wege gehen. Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein möglicher Weg. Ein BGE soll dabei ausreichen, um die gesellschaftliche, kulturelle und soziale Teilhabe jedes Einzelnen sicherzustellen. In Deutschland spricht man in diesem Kontext meist von einem BGE, welches Zahlungen in Höhe von 1.000 bis 1.500 Euro umfasst (Blaschke, 2017; Opielka, 2004). Dabei erhält jeder Bürger dieses Geld, unabhängig von Geschlecht, Alter, Einkommen oder Tätigkeit. Der Diskussionsbedarf ist dementsprechend hoch. Menschen finanziell zu unterstützen, die in Not sind? Da können viele mitgehen. Menschen bedingungslos Geld zu geben? Hier scheiden sich die Geister.

Umsetzbarkeit des Grundeinkommens

In einer Leistungsgesellschaft wie der unseren wird auch leistungsorientiert gedacht – wer nimmt, der gibt. Nach diesem Konzept funktioniert unter anderem das Arbeitslosengeld II – wer Leistungen bezieht, muss sich aktiv um Arbeit bemühen. Von dieser Reziprozität befreit sich das Grundeinkommen und zeichnet sich als bedarfsorientierte und bedingungslose Alternative aus. Jedem wird dabei das Recht auf eine Grundsicherung zugestanden, ganz ohne Gegenleistung. In vielerlei Hinsicht steht das BGE damit im Gegensatz zu anderen Sozialleistungen wie dem Arbeitslosengeld II, welches durch Sanktionen unterhalb des Existenzminimums liegen kann. Ob das fair ist oder nicht, sei zunächst einmal dahingestellt. Denn falls Zeiten kommen, in denen nicht mehr genügend Erwerbsmöglichkeiten für alle vorhanden sind, ist ein auf Lohnarbeit basierender leistungsorientierter Ansatz nicht mehr haltbar. Ein Reflektieren der Optionen ist somit notwendig, um nicht von potenziellen, tiefgreifenden Umwälzungen überrascht zu werden.

Neben der Fairness ist auch die Finanzierbarkeit eines BGEs ein strittiges Thema. Die Befürworter sehen die Finanzierbarkeit durch weniger Bürokratie und dadurch eine enorme Einsparung an Ressourcen sowie höhere Steuersätze sichergestellt. Die Gegner sehen diese finanziellen Mittel als ungenügend an, um ein Grundeinkommen für alle zu finanzieren. Da es nicht das eine Grundeinkommensmodell gibt, sondern verschiedene Summen und Rahmenbedingungen diskutiert werden, ist die Frage der Finanzierbarkeit nicht leicht zu beantworten. Und es gibt noch mehr Diskussionsbedarf: Macht ein Grundeinkommen faul? Wie hoch sollte es sein? Wer soll das bezahlen? Wer übernimmt dann die unattraktiven Jobs? Schwächt ein Grundeinkommen die Wirtschaft? Jenseits all dieser und weiterer Fragestellungen, ergibt sich jedoch eine ganz zentrale Frage schon jetzt: Welche Rolle hat der Mensch noch, wenn seine bisherige Arbeit von KI und Robotik übernommen wird? Menschenleere Fabriken, Supermärkte und Lastkraftwagen werden schon längst erprobt – die Idee von Automation ist den Laboren entsprungen und wird zunehmend in der Fläche praktikabel.

Arbeit in der Leistungsgesellschaft

Der gesellschaftliche Wert der Arbeit ist hierbei von zentraler Bedeutung. Denn in einer Leistungsgesellschaft dient Arbeit nicht nur der finanziellen Absicherung. So ist die Frage „Und was machst du so beruflich?“ häufig eine der ersten, wenn sich zwei Menschen kennenlernen. Arbeit ist viel mehr als Geld verdienen. Arbeit sorgt für soziale Anerkennung, steigert den persönlichen Selbstwert und ist somit identitätsstiftend. Solange Arbeit diesen Stellenwert hat, wird der Verlust von Arbeit Menschen sozial isolieren und mit hoher Wahrscheinlichkeit krank machen.

Kommt ein Zeitalter, in dem es nicht mehr genügend Arbeit für alle gibt, müssen sich das gesellschaftliche und das individuelle Verständnis von Arbeit verändern. Andere Formen der Arbeit, welche bislang nicht vergütet werden und weniger Anerkennung erfahren, rücken dann stärker in den Fokus. Denn ist es nicht auch Arbeit seine alternden Eltern zu pflegen, die Kinder zu betreuen und sich in der Nachbarschaft zu engagieren? Ein Grundeinkommen würde diese Arbeiten finanziell absichern und somit auch ein Stück Freiheit bedeuten. Freiheit, seine Kinder zu Hause großzuziehen. Freiheit, sich schlechten Arbeitsbedingungen zu widersetzen. Freiheit, sich künstlerisch auszuleben. Freiheit selbst zu überlegen, wie man seinen Tag verbringen möchte. Freiheit, sich selbst zu verwirklichen.

Grundeinkommen und die Psychologie

Diese Freiheit ist jedoch auch herausfordernd. Wer frei ist, muss entscheiden, gestalten und Verantwortung für das eigene Leben übernehmen. Was aber sind meine persönlichen Ziele im Leben? Wie möchte ich mein Leben verbringen? All diese Fragen bringen die Psychologie ins Spiel. In einem Projekt am Lehrstuhl für Sozial- und Organisationspsychologie der Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit dem gemeinnützigen Verein Mein Grundeinkommen e.V. wurden die kurzfristigen Auswirkungen bedingungsloser Zahlungen untersucht. Die Teilnehmer, welche im Zeitraum von 12 Monaten steuerfrei 1.000 Euro monatlich erhalten, beschrieben allgemein positive Effekte des Grundeinkommens. So zeigte sich ein verstärktes Unabhängigkeitsgefühl und ein vermehrtes Sicherheitsgefühl. Eine Überforderung mit dem Grundeinkommen konnte bislang nicht festgestellt werden.

Allerdings fehlt es an Längsschnittstudien und langfristigen Forschungsprojekten in diesem Bereich. In einer Gesellschaft, in der sich Normen und Zwänge auflösen, verschwinden wichtige Orientierungspfeiler und lassen nur allzu häufig Orientierungslosigkeit zurück. In einem Zeitraum von 12 Monaten bedingungslose Zahlungen zu erhalten, wird vermutlich keinen fundamentalen Lebenswandel einleiten, wie es ein lebenslängliches bedingungsloses Grundeinkommen tun würde. Spannend ist zudem die Frage, wie zukünftige Generationen, die mit einem BGE aufgewachsen sind und den Kontrast zur Leistungsgesellschaft nie erlebt haben, ihr Leben gestalten würden. Hier ist die Wissenschaft gefragt, frühzeitig neuartige Gesellschaftsformen und ihre langfristigen Auswirkungen auf den Menschen zu erforschen sowie wissenschaftliche Erkenntnisse für Politik und Bevölkerung aufzubereiten.

Gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestalten

Vom Bankangestellten bis zur Pflegekraft – Arbeitnehmer und -geber müssen sich besser früher als später mit der voranschreitenden Automation und den Auswirkungen dieser auseinandersetzen. Die technischen Möglichkeiten ereilen den Menschen in beispielloser Geschwindigkeit. Ein Wettrennen, das der Mensch hinsichtlich der Leistung so nicht gewinnen kann. Allerdings kann der Mensch die Spielregeln aufstellen. Wo sollen KI und Robotik Anwendung finden und in welchen Bereichen lieber nicht? Wie und wie schnell soll der digitale Wandel ablaufen? Für viele ist die Funktionsweise von KI ebenso unbekannt wie die Einsatzszenarien. Das soll sich allerdings ändern: Die KI-Debatte ist in vollem Gange –  und auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat Anfang Oktober vergangenen Jahres einen KI-Campus eröffnet. Ein Pilotprojekt, um Menschen im Umgang mit KI zu schulen. Diese erlernten Fähigkeiten sind es, die es uns als Gesellschaft zum einen ermöglichen den Einzug von KI und Robotik in die Arbeitswelt aktiv zu gestalten. Zum anderen aber auch die Chance bieten, bereits jetzt darüber nachzudenken, wie das gesellschaftliche Miteinander in einer Ära der Automation aussehen kann. Noch haben wir es in der Hand.

Exkurs: Bisherige Feldexperimente zum Grundeinkommen

In den 1960er und 70er Jahren fanden die fünf größten Feldexperimente bedingungsloser kontinuierlicher Zahlungen in Nordamerika statt. All diese Experimente basierten auf dem Modell einer negativen Einkommenssteuer, welche Defizite im Einkommen durch zusätzliche Zahlungen ausgleichen soll. Ein Überblick über die Ergebnisse dieser Feldexperimente sind in der folgenden Tabelle dargestellt:

 

Projekt, Land Zeitraum Teilnehmer Auswirkungen
New Jersey Graduated Work Incentive Experiment, USA 1968-1972 983 Haushalte – Keine signifikante Reduktion der Beschäftigungsverhältnisse
Rural Income-Maintenance Experiment, USA 1970-1972 729 Haushalte – Geringfügige Reduktion der Arbeitsstunden

– Bessere schulische Leistungen und weniger Fehlzeiten

Seattle and Denver Maintenance Experiment, USA 1970-1976 4.800 Haushalte – Reduktion der Arbeitsstunden bei Vollzeit-Beschäftigten

 

Gary Indiana Experiment, USA 1971-1974 967 Haushalte – Höheres Geburtsgewicht bei Kindern

– Reduktion der Arbeitsstunden

– Steigerung der Unabhängigkeit

– Bessere schulische Leistungen

MINCOME, Kanada 1975-1978 1.300 Haushalte – weniger Krankenhausaufenthalte

– längere Zeit in Schulausbildung

– verbesserte psychische Gesundheit

– Forderung höherer Gehälter

 

Die beschriebenen nordamerikanischen Experimente unterscheiden sich hinsichtlich der Höhe der Grundeinkommen und der methodischen Vorgehensweisen, sodass Schlussfolgerungen auf die Gesamtbevölkerung nur bedingt möglich sind. Weiterhin wurden nur wenig Informationen zur Motivation und Erfahrung mit den bedingungslosen Zahlungen erfasst. Nichtsdestotrotz deuten die Experimente auf eine Veränderung im Umgang mit Erwerbstätigkeit und vermehrte Freiheit hin.

Auch in Europa wird das Grundeinkommen erforscht. Erst im vergangenen Jahr endete eine finnische Studie mit 2.000 nicht erwerbstätigen Menschen, die monatlich 560 Euro erhielten. Die Forschungsergebnisse zeigen eine signifikante Steigerung der Lebenszufriedenheit, sowie eine verbesserte psychische und physische Gesundheit der Teilnehmer auf. Neben Finnland werden aktuell auch in Schottland und den Niederlanden verschiedene Grundeinkommens-Modelle und ihre Umsetzbarkeit diskutiert. Auch in Deutschland befasst man sich mit dem Grundeinkommen. So verlost der gemeinnützige Berliner Verein „Mein Grundeinkommen e.V.“ durch Spenden finanzierte Grundeinkommen in Höhe von monatlich 1.000 Euro für einen Zeitraum von 12 Monaten. In einer Pilotstudie untersuchten Wissenschaftler des Projekts „RUBICON“ (Research on Universal Basic Income – Chances, Omissions, Negativities) am Lehrstuhl für Sozial- und Organisationspsychologie der Humboldt-Universität zu Berlin die psychologischen Aspekte dieser bedingungslosen Zahlungen.

Quellen und Referenzen:

Baldwin, R. (2019). The Globotics Upheaval. New York: Oxford University Press.

Blaschke, R. (2017). Wie hoch muss ein Grundeinkommen sein? Oder: Das Regelsatzdesaster. Verfügbar unter: https://www.grundeinkommen.de/27/01/2017/wie-hoch-muss-ein-grundeinkommen-sein-oder-das-regelsatzdesaster.html [03.01.2020].

Brzeski, C. & Burg, I. (2015). Die Roboter kommen. Folgen der Automatisierung für den deutschen Arbeitsmarkt. INGDiBa Economic Research.

Gierke, L., Nachtwei, J., Meißner, M., Strohm, C., Goedeke Tort, M., David, M. & Faßbender, G. (2020). Bedingungsloses Grundeinkommen – Überblick und Plädoyer für eine psychologische Perspektive. deepR white papers, 1, ResearchGate, DOI: 10.13140/RG.2.2.15437.38889

Opielka, M. (2004). Was kostet ein Grundeinkommen? Leviathan, 32(4), 440– 447.

Widerquist, K. (2005). A failure to communicate: What (if anything) can
we learn from the negative income tax experiments?. Journal of
socio-economics, 34
(1), 49-81. doi:
10.1016/j.socec.2004.09.050

Lioba Gierke studierte Psychologie an der HU Berlin und untersuchte in ihrer Masterarbeit das Bedingungslose Grundeinkommen aus psychologischer Perspektive. Seit Januar 2020 promoviert sie am Lehrstuhl für Leadership der WHU – Otto Beisheim School of Management.

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