Traditionelle Fertigung und Maschinelles Lernen wachsen bei Bosch zusammen

Von   Damir Shakirov   |  AI-Consultant   |  Bosch Center for Artificial Intelligence
24. Mai 2018

Ob Backofen, Waschmaschine oder Lüfter in Ihrem Badezimmer: Die Zeiten, in denen unsere Haushaltsgeräte blind Befehlen folgten – einschalten, schneller, langsamer, wärmer, kälter, ausschalten – sind vorbei. Inzwischen helfen Sensoren Haushaltsgeräten dabei selbst zu „entscheiden“, wie viel Waschmittel die Waschmaschine benötigt oder bei welcher Luftfeuchtigkeit der Lüfter seine Arbeit verrichtet.
Was unsereins im Haushalt gerade noch so überblicken kann, würde das menschliche Gehirn im Industriesektor vor unlösbare Aufgaben stellen. Wo die Komplexität der Datenverarbeitung steigt und allein mit dem Faktor Mensch nicht mehr zu bewältigen ist, kommen Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML) ins Spiel.

Künstliche Intelligenz bedeutet vereinfacht: Maschinen erheben nicht mehr nur Daten über angebundene Sensoren, auf deren Grundlage der Mensch dann Entscheidungen trifft. Nein, im KI-Zeitalter werten Maschinen selbst unzählige Daten aus Sensoren und Kameras aus, suchen nach Mustern aus bereits erhobenen Daten und treffen auf dieser Grundlage Entscheidungen. In diesem Kontext ist es besonders wichtig Fehlentscheidungen zu vermeiden. Während ein falsch übersetztes Wort üblicherweise keine gravierende Konsequenz nach sich zieht, kann eine falsche Interpretation des Fußgängerverhaltens unter Umständen ein Leben kosten. Die Robustheit der Vorhersagen ist deshalb von besonderer Bedeutung.

Computer sind inzwischen in der Lage, komplexe Zusammenhänge im System zu erkennen, die der Mensch nicht mehr überblicken kann. Das Potential dieser Entwicklung ist enorm. Mit Hilfe von KI lernen Autos ohne Fahrer zu fahren, „smart factorys“ geben Wartungsarbeiten in Auftrag noch bevor etwas kaputt geht und Sprach- oder Chatbots erleichtern die Kommunikation von Mensch zu Maschine. Es wird deutlich: Künstliche Intelligenz ist mehr als nur ein Technologie-Trend, KI ist ein Gamechanger.

Das haben wir bei Bosch erkannt. Unser 1886 als „Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik“ gegründetes Unternehmen hat sich zu einem weltumspannenden Industriekonzern entwickelt, gerade weil Qualitätsarbeit und Mut zu Innovationen immer oberster Anspruch waren. Kein Wunder also, dass Bosch auch beim Thema Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen eine Vorreiterrolle einnimmt. Zu diesem Zweck wurde Anfang 2017 das Bosch Center for Artificial Intelligence, kurz BCAI, aus der Taufe gehoben. Für Bosch ist KI eine Schlüsseltechnologie der Zukunft.

Die Maschine „trainiert“ sich selbst

Im BCAI arbeiten derzeit etwa 120 Naturwissenschaftler sowie Ingenieure daran, Bosch zu einem führenden Unternehmen im Bereich Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz zu machen. Bis 2021 soll sich die Zahl der Mitarbeiter an den Standorten Bangalore, Sunnyvale und Renningen vervielfachen. Schließlich hat Bosch-Chef Volkmar Denner die Devise ausgegeben, möglichst jedes Produkt IoT-fähig zu machen. Dabei soll Maschinelles Lernen eine zentrale Rolle einnehmen. IoT steht für „internet of things“, zu Deutsch Internet der Dinge, und meint die Vernetzung von Kühlschrank, Waschmaschine & Co. Im Vordergrund steht der Mehrwert, der damit generiert werden kann.

Ein Beispiel: Auf den ersten Blick erscheint es nicht zielführend einen Akkuschrauber mit einem Internetanschluss auszustatten. Beim genaueren Hinsehen offenbaren sich aber hilfreiche Anwendungen: So könnte der Benutzer vorzeitig über einen drohenden Defekt informiert werden, welcher sich durch eine einfache Wartung verhindern ließe. Prinzipiell ist das natürlich auch ohne eine Verbindung zum Internet realisierbar, in diesem Fall würde man aber auf den „Erfahrungsschatz“ anderer Akkuschrauber verzichten und somit an Genauigkeit verlieren. Beim Thema KI kommt es darauf an, genau zu erklären, wofür sie eingesetzt wird und welchen Nutzen sie hat. Bosch forscht an KI, die sicher, robust und erklärbar ist.

Bisher „trainierten“ Entwickler die Computer, in dem Sie ihnen Algorithmen einspeisten. Jetzt „trainieren“ sich die Computer selbst. Für dieses Training werden Daten benötigt. Um das Beispiel des autonomen Fahrens aufzugreifen: Soll das Fahrzeug zuverlässig Fußgänger erkennen, braucht es eine ausreichende Menge an Beispielen. Da sich Menschen üblicherweise nicht gleichen, wird eine große Menge an Daten benötigt um dem Computer beibringen zu können, was einen Menschen optisch ausmacht. Während das Erkennen von Personen mittlerweile gut funktioniert, ist das Vorhersagen der Absichten der erkannten Fußgänger noch mit Hürden verbunden. In diesem Fall mangelt es nicht nur an eindeutig „gelabelten“ d.h. gekennzeichneten Daten, auch die Qualität der Daten ist aktuell nicht ausreichend hoch.

Die Datenqualität ist entscheidend für die Leistung, die am Ende vom Algorithmus erwartet werden kann. Qualität heißt zum einen, dass die Daten mit einem eindeutigen und richtigen Label versehen wurden. Zum anderen heißt es, dass die Merkmale, welche extrahiert werden sollen, in diesen Daten enthalten sein müssen.

Um es bildlich zu machen: Es ist nicht zielführend, einen Algorithmus mit einem Datensatz zu trainieren, welcher ausschließlich Beispiele von handgeschriebenen Zahlen enthält, wenn das eigentliche Ziel ist, Buchstaben zu erkennen. Beim autonomen Fahrzeug bedeutet dies, dass die Daten idealerweise alle erdenklichen Interaktionen zwischen Fußgängern und Fahrzeugen enthalten. Zusätzlich wird jedoch auch die Intention des Fußgängers als „Label“ benötigt. Dieses Label mit einem bestimmten Zeitfenster einer Videosequenz zu verknüpfen um daraus die Intention abzuleiten, ist die Herausforderung.

Wie zuvor erwähnt, ist der Sinn der Vernetzung von autonomen Fahrzeugen naheliegend: Das Fahrzeug lernt nicht nur aus eigenen Erfahrungen, sondern auch aus denen aller vernetzten Fahrzeuge. Dieser Vorteil lässt sich auf viele andere Beispiele übertragen, ist aber nicht der einzige Vorteil, den die Vernetzung bietet. Durch vernetzte Lieferketten weiß die „smart factory“ heutzutage, wann sich welches benötigte Bauteil wo befindet und wann es geliefert wird. Durch die bessere Planbarkeit lässt sich der Lagerbestand deutlich verkleinern, die Kosten sinken. Zusätzlich muss eine neue Maschine nicht umständlich programmiert werden. Einfach anschließen und mit der Cloud vernetzen, schon ist sie arbeitsfähig. Das Zauberwort bei Bosch heißt „Plug & Produce“ und soll in Zukunft weitere Effizienzsteigerungen bringen, daran wird zusammen mit der Tochter Bosch Rexroth AG intensiv gearbeitet.

Fünf Säulen des Bosch Center for Artificial Intelligence

Diesen und vielen anderen Projekten widmen sich unsere KI-Experten an den drei Standorten des Bosch Center for Artificial Intelligence in Baden-Württemberg, Kalifornien und Südindien. Die Arbeit des BCAI verteilt sich auf fünf Säulen: Research, Consulting, Service, Enabling und Marketing. Der Bereich Research widmet sich aufwändigen Forschungsprojekten, die eine große strategische Gewichtung besitzen. Ziel ist es, Alleinstellungsmerkmale für Bosch zu erarbeiten, um in der zukünftigen Wettbewerbssituation bestehen zu können. Schließlich gehen wir davon aus, dass in Zukunft eine Differenzierung entweder über die Menge und Qualität der Daten oder über Methoden notwendig sein wird.

Für direkten Kontakt mit unseren (internen) Kunden sind die Consulting- und Service-Teams zuständig. Im Gegensatz zu den Research-Kollegen sollen sie möglichst zeitnah konkrete Ergebnisse generieren. Im Kern bedeutet das: Probleme verstehen, Anwendbarkeit der State-of-the-Art KI-Methoden evaluieren, Lösungsvorschläge erarbeiten und letztendlich im Feld einsetzen. Zusätzlich konzentrieren sich diese Teams darauf, Plattformen zu etablieren. Weil Bosch ein Unternehmen mit enormer Fertigungskompetenz ist, wird derzeit eine Plattform etabliert, die unseren Ingenieuren einen gebündelten Zugang zu einer breiten Palette an ML-Anwendungen ermöglicht. Die meisten erarbeiteten Lösungen sollen in dieser Plattform ein Zuhause finden und auch von „Nicht-Experten“ bedienbar sein. Um diese Plattform mit Daten zu versorgen, werden viele Fertigungslinien mit zusätzlichen Sensoren versehen. Die Ziele sind dabei klar: Konsequent Daten sammeln, um bei gleichbleibender, hoher Qualität Kosten zu senken. Drohende Probleme sollen erkannt und idealerweise behoben werden, bevor die Produktionslinie stillsteht. Und sollte ein Stillstand tatsächlich unvermeidbar sein, gewinnt man Vorlaufzeit.

Um innerhalb der Bosch-Gruppe ein Verständnis dafür zu schaffen, welche Probleme sich für eine Lösung mittels KI eignen und um aktiv Wissen auf diesem Gebiet zu transportieren, gibt es das Enabling-Team. Die KI-Experten bieten beispielsweise Grundlagen-Kurse für Mitarbeiter an, bei denen die Kollegen Code-Beispiele erhalten um einfachere Probleme zu lösen.

Für die Sichtbarkeit des BCAI im und außerhalb des Konzerns ist das MarketingTeam zuständig. Dazu gehört auch, Skepsis und Vorbehalte der Mitarbeiter gegenüber lernenden Verfahren abzubauen. Zentral ist dabei die Überzeugung, dass technologischer Fortschritt und gesellschaftliche Verantwortung Hand in Hand gehen.

Ein Algorithmus für besseres Pflanzenwachstum

Welches Potential Maschinelles Lernen haben kann, macht beispielhaft das Projekt Plantect in Japan zur Steigerung von landwirtschaftlichem Ertrag deutlich. Bosch hat dort ein System aus Sensoren und Software entwickelt, mit dem Pflanzenkrankheiten in Gewächshäusern mit einer Wahrscheinlichkeit von 92 Prozent vorhergesagt werden können. Die Sensoren erfassen Luftfeuchtigkeit, Licht, Temperatur und Kohlenstoffdioxid-Gehalt, der Kunde kann sie bequem über sein Smartphone oder am PC abrufen. Darüber hinaus analysiert der im Bosch Center für Artificial Intelligence entwickelte Algorithmus das Verhältnis der Faktoren zueinander, vergleicht es mit vorhandenen Daten und trifft Vorhersagen zu möglichen Erkrankungen der Pflanzen im Gewächshaus. Noch ist das System auf Tomaten ausgelegt. In naher Zukunft soll Plantect aber auch den Ertrag bei Erdbeeren, Gurken, Zierpflanzen und anderen Gewächsen erhöhen.

Damir Shakirov ist Diplom Ingenieur für Maschinenbau, Studium am KIT. Simulationsingenieur in der zentralen Forschung und Vorausentwicklung der Robert Bosch GmbH, Entwicklung und Beschleunigung der Schweißsimulation, sowie Datenextraktion für datenbasierte Methoden (2014-2017). AI-Consultant im Bosch Center for Artificial Intelligence mit Fokus auf Fertigungsanwendungen (Seit 2018).

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