I(di)oT – Wie Smart Devices unserer Gesellschaft Innovation vorgaukeln und unseren Alltag komplexer machen

Von   Henning Neu   |  Datenschutz- undIT-Sicherheitsberater   |  praemandatum GmBH
21. Februar 2018

Das Internet der Dinge (Internet of Things – kurz IoT) ist keineswegs eine wirklich neue Erfindung in der IT-Industrie. Bereits in den späten 80ern und frühen 90ern kam erstmals eine Vision von einer durch Technologie stark geprägten Welt auf. „Ubiquitous Computing“ (kurz und äquivalent unsexy UbiComp) nannte Mark Weiser die Idee, die er am Xerox PARC Forschungszentrum mitentwickelte. Eine Idee von einer Welt, in der es keine einzelnen, großen Computer mehr gibt, sondern in der wir permanent von rechnenden Maschinen umgeben sind, die sich elegant in unsere Umwelt integrieren. Allgegenwärtige Rechner, die sich natürlich anfühlen und praktisch unsichtbar für uns Menschen sind, weil es keine einfachen Maschinen mehr sind, sondern gänzlich neue, innovative Dinge, in denen Technologie auf intuitive Art und Weise verwoben ist.
Heute blicken wir auf eine ganze Palette von Smart Devices, die sich unter dem Oberbegriff des Internet der Dinge tummeln. Kühlschränke mit Kameras und Bluetooth, Thermostate mit Sprachsteuerung, Waschmaschinen mit WLAN, Elektrozapfsäulen mit RFID-Schnittstelle, SmartTVs, Smartphones, Smartwatches. Das IoT wird gerne als „smart“ ausgelegt, dabei stellen sich viele dieser Technologien als weitaus dümmer heraus, als die ursprünglichen Dinge, die es noch vor wenigen Jahren ohne Internetanschluss gab, was vor allem an den eigentlichen Herstellern liegt. Sicherheitsstandards werden in manchen Fällen gerade zu spektakulär missachtet, an jeder Ecke werden Daten erhoben und übers Internet an den Hersteller zur Verarbeitung verschickt, und dann am besten gleich noch in einer Cloud hochgeladen und auf einer freshen Benutzeroberfläche mit Material Design dem Nutzer präsentiert, als wäre der Technologiegigant im Hintergrund der Retter des menschlichen Wohlbefindens.

Doch schieben wir für einen Momentan die kritischen Bedenken zur Seite und schauen unvoreingenommen auf die Errungenschaften der IoT-Industrie, so bleibt dennoch die große Freude meist auf der Strecke. Als spiritueller Nachfolger zur Vision des UbiComp entpuppt sich das Internet of Things als plakative Technologisierung von alltäglichen Dingen, die all ihre Probleme bereits teilweise vor Jahrzehnten genau so gut lösten, wie sie es heute tun. Eine Waschmaschine mit WLAN wäscht auch heute noch nach dem selben Prinzip wie vor 20 Jahren. Sie mag inzwischen weniger Wasser und Energie verbrauchen (und das ganz ohne Internetanbindung), aber die eigentliche Funktion ist erhalten geblieben. Doch offenbar ist es in der modernen Welt des IoT wichtig, dass Spülprogramme über eine unhandliche App auswählbar sind, für die ich mich beim Hersteller mit einem extra Konto registrieren muss. Da kann ich dann auch live verfolgen, wie der Waschgang fortschreitet. Ich könnte sie auch so programmieren, dass sie zu einer bestimmten Zeit fertig ist. Die Wäsche muss ich natürlich trotzdem per Hand einfüllen, ich stehe also doch irgendwann vor meiner Maschine und kann gleich da alles einstellen. Alles, was die App in diesem Fall macht, ist, mir die bereits bestehenden Funktionen und Informationen über das Internet bereitzustellen. Keine Innovation, keine Revolution, nur eine andere Lösung für ein Problem, das bereits gelöst wurde.

Und dabei stellt sich häufig die technologisierte Lösung als die deutlich aufwendigere heraus. Ein Thermostat mit Sprachsteuerung ist kein besserer Thermostat. Wenn ich in meiner Wohnung die Heizung anschalten möchte, reicht eine Drehung an einem kleinen Kasten an der Wand. Ein Handgriff, intuitiv und für praktisch jeden Menschen nachvollziehbar. Doch schaltet sich Alexa zwischen mich und meine Heizung, so muss ich nicht nur die richtigen Worte wählen, sondern auch auf meine Artikulation achten. Und ich will gar nicht erst darüber nachdenken, was wohl passiert, wenn ich die Heizung mal auf Englisch anschalten möchte.
Irgendwie haben es Gerätehersteller geschafft uns Kunden schlechte User Experience als Kaufargument anzudrehen. Oder ist es vielleicht einfach so, dass ein Kühlschrank mit Bluetooth nicht wegen des Bluetooth gekauft wird, sondern weil es keinen Kühlschrank in der Preisklasse ohne Bluetooth gibt? Sind wir durch Zufall in eine merkwürdige Spirale der Gleichgültigkeit hineingerutscht, in der es uns Kunden egal ist, was für ein Technikschnickschnack in unseren Geräten enthalten ist, weil wir einfach nur das Gerät haben wollen, und in der es den Herstellern egal ist, was für Technikschnickschnack sie in ihren Geräten verbauen, weil die Geräte trotzdem gekauft werden?

Und noch viel wichtiger: Was tun die Hersteller, wenn sich irgendwann ein tatsächlich innovatives Gerät durchsetzt, das den Markt mit einer unaufhaltsamen Kraft überrollt, wie es einst das erste iPhone tat? Was tun wir, wenn wir eines Tages aufwachen und unsere bis dato zentrale Anlaufstelle für jedes Haushaltsgerät, unser Smartphone, plötzlich obsolet wird? Ist es tatsächlich „smart“, sein Leben um sein Smartphone herum aufzubauen und zu planen?

Selbst wenn die große Technologierevolution noch Jahrzehnte ausbleibt, und wir in diesem Zustand aus Ideenmangel und Nutzlosigkeit festhängen, so bleiben dennoch die offensichtlichen Probleme. Nahezu jeden Tag wird ein neues IoT-Gerät gehackt, weil selbst einfache Verschlüsselungsprotokolle nicht eingehalten werden. Als Kunde verkaufe ich meine persönlichen Daten an diverse mir nahezu unbekannte Firmen und weiß in der Regel nicht, welche kritischen Folgen das für mich haben kann, zumal ich für jeden neuen Hersteller mit einer eigenen App wahrscheinlich auch noch ein neues Kundenkonto anlegen muss. Zudem ist die zusätzliche Technologie nicht nur eine große Schwachstelle in der Sicherheit, sondern auch im eigentlichen Design. Das IoT ist kein elegant verarbeitetes Gimmick, es ist das Aushängeschild. Produkte werden in den Technologiemarkt gezwungen, selbst wenn die Technologie keinen echten Zweck hat. Es geht im Internet der Dinge nicht darum, den menschlichen Alltag mit seinen First-WorldProblems sinnvoll zu ergänzen, sondern darum, ein Produkt auf den Markt zu stellen, das seinen überhöhten Preis mit schlecht integrierter, merkwürdig zu bedienender, unsicherer Soft- und Hardware rechtfertigt.

Das IoT verändert unsere Welt nicht in innovativer, revolutionärer Art und Weise. Es gibt uns andere Lösungen für bereits gelöste Probleme, die häufig nicht besser sind, als die bereits bestehenden. Aber da die neue Lösung ein Smart-Device in sich trägt, scheint sie innovativ und unabdingbar. Das IoT ist somit kein Weltenverbesserer, es ist eine Resignation. Wir finden uns mit unserem Alltag ab, indem wir immer neue Lösungen für dieselben Probleme schaffen, anstatt neue Probleme aufzustellen und diese zu lösen. In der Welt des IoT befinden wir uns in keiner technologischen Revolution, sondern in einer technologischen Gehorsamkeit. Wir arbeiten nicht auf eine Welt zu, in der Computer elegant und nützlich in unsere Umwelt auf natürliche Art und Weise verwoben sind, sondern auf eine Welt, die sich mit unhandlicher und überflüssiger Soft- und Hardware brüstet. Aus der einstigen Vision des Ubiquitous Computing wurde ein unreflektierter Abklatsch. Somit spiegelt selbst der Name „Internet of Things“ die Essenz dieser Bewegung wider: Eine klobige Neuauflage einer bereits bekannten Idee.

Die Zukunft vorherzusehen, ist wie immer unmöglich, doch wenn ich daran denke, wie wir uns vor 30 Jahren die heutige Zeit vorgestellt haben, so bin ich manchmal enttäuscht. Echte Innovationen gibt es zwar hin und wieder in der Welt der Technologie, doch im Internet der Dinge finde ich sie nicht.

Henning Neu, technischer Datenschutz- und IT-Sicherheitsberater bei der praemandatum GmbH und selbstständiger Gamedesigner, hat Angewandte Informatik an der Hochschule Hannover studiert. Seine Spezialgebiete sind technische Risikoanalysen und die Bewertung von modernen Technologien in Unternehmenskontexten, sowie Design und User Experience.

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