IoT – Praxisbetrachtung eines europäischen Großflughafens

Von   Johann Götz   |  Leiter Software- und Infrastrukturentwicklung   |  Flughafen München
8. Februar 2018

Nachdem „Internet of Things“ (IoT) lange Zeit ‚gehypt‘ wurde, ist IoT nun auch in der Realität des Flughafens München angekommen. Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in die Herausforderungen und Veränderungen für die interne Infrastruktur eines großen mittelständischen Unternehmens aus der Logistik Branche.

IoT Transportnetzwerk

Aus Sicht des IT Bereichs ist IoT zunächst ein klassisches Netzwerk Thema. IoT Technologien sind die konsequente Erweiterung der bestehenden LAN und WLAN Infrastruktur. Die Herausforderung liegt dabei in der Entscheidung entweder ein eigenes IoT Netzwerk aufzubauen oder auf eine oder mehrere Providerlösungen zu vertrauen. Der Aufbau eines eigenen IoT Netzwerkes – wie zum Beispiel LoRaWan – verspricht vor allem Unabhängigkeit und kalkulierbare Betriebskosten. Die Alternative ist die Nutzung einer Providerlösung. Technologien wie Sigfox stellen bereits funktionsfähige und weitgehend flächendeckende Netzwerke zur Verfügung. Auch die großen Mobilfunkbetreiber bauen ihre bestehenden Infrastrukturen massiv aus, um 2018 die ersten marktreifen Narrow Band IoT Lösungen am Markt zu etablieren. Dabei ist davon auszugehen, dass bis Ende des Jahres die Mobilfunkbetreiber flächendeckende IoT Netzwerke zur Verfügung stellen können. Bisher haben die Mobilfunkbetreiber jedoch noch keine Preismodelle veröffentlicht. Daher fehlen für eine strategische Unternehmensentscheidung für eine Übertragungstechnologie noch wichtige Grundlagen.

Eine wesentliche Rolle für die Entwicklung der IoT Transportnetzwerke werden aber vor allem die Hersteller von IoT Endgeräten spielen. Durch ihre Entscheidung, welche Transporttechnologien sie in Ihre Produkte integrieren, werden die Nutzer gezwungen die damit verbundenen Transportnetzwerke einzusetzen. Unternehmen werden in vielen Fällen somit keinen Einfluss auf und keine Kenntnis über das verwendete Transportnetzwerk in den IoT Produkten haben, da dies zwischen Hersteller der IoT Produkte und Anbieter von flächendeckenden Transportnetzwerken abgestimmt wird.

Daher werden am Flughafen München mittelfristig verschiedene Providertransportnetzwerke zur Verfügung stehen und genutzt werden. Ein privates IoT Netzwerk kann eine sinnvolle Ergänzung für individuelle bzw. flughafenspezifische Anwendungsfälle darstellen.

IoT Plattform

Die nächsten strategischen Entscheidungen beziehen sich auf den Einsatz einer oder mehrerer IoT Plattformen. In der IoT Plattform werden durch IoT Endgeräte entstehende Daten gespeichert und zur Analyse sowie zur prozessbezogenen Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt.

Zunächst gilt es zu entscheiden, ob für diesen Einsatz eine zentrale unternehmensweite IoT Plattform oder mehrere, auf den jeweiligen Anwendungsfall spezialisierte, IoT Plattformen eingeführt werden sollen. Diese Entscheidung ist vor allem für Unternehmen mit einer sehr heterogenen internen Infrastruktur und vielen verschiedenen Technologiebereichen nicht trivial. Die zweite Entscheidung besteht darin, ob die IoT Plattform selber oder durch einen Provider betrieben wird.

Unter den Herstellern von IoT Plattformen herrscht aktuell ein großer Wettbewerb hinsichtlich der angebotenen Lösungen und Betreibermodellen. Das Geschäftsmodell der Plattformanbieter zielt auch auf die Kontrolle über die erhobenen Daten ab, um daraus langfristig ein lukratives Business Modell zu entwickeln.

Herausforderungen für die Technik Abteilungen

Eine besondere Herausforderung stellt IoT für die Technik Systeme in Unternehmen dar. Viele Technik Bereiche sind gerade noch intensiv mit der Umsetzung des IT technischen Wandels der OT Systeme (Operation Technology) wie z.B. Gebäudeautomation, Sicherheitsgewerke beschäftigt. Während sich die Schwerpunkte aktuell auf die Umsetzung von IT Security, Patchmanagement, Virtualisierung usw. konzentrieren, bietet sich mit IoT ein weiteres großes Feld zur Weiterentwicklung der OT Systeme.

Erste vielversprechende Anwendungsfälle

IoT ist jedoch kein Selbstzweck. Erst die sinnvolle Nutzung der gewonnen bringt einen Mehrwert für Unternehmen. Die ersten vielversprechenden Anwendungsfälle befinden sich gerade in der Pilotphase bzw. im Planungsstadium. Im Folgenden werden exemplarisch zwei aktuelle Projekte am Flughafen München vorgestellt:

Neue Technologien, wie zum Beispiel preiswerte Kameras mit OCR Technologie, bieten eine günstige Möglichkeit Stromzähler und die Übermittlung des Zählerstandes über ein Narrow Band IoT Netzwerk direkt an die Abrechnungssysteme anzubinden, ohne diese manuell zu erfassen. Damit kann eine schrittweise und verträgliche Migration aus der alten in die neue digitale Welt gelingen. Die Daten werden über das Provider IoT Netzwerk zum einer Provider IoT Plattform übertragen. Zum anderen wird die direkte Übertragung der Daten in die Backend Systeme des Flughafens getestet. Bei einem Bestand von mehreren tausend Stromzählern ergeben sich erhebliche wirtschaftliche Einsparungen.

Ein zweiter Anwendungsfall liegt in der Vernetzung von Lampen- und Beleuchtungssystemen über IoT Transportnetzwerke. Das große Potential der Beleuchtung liegt darin, dass die Beleuchtung inklusive Stromanschluss fast am ganzen Unternehmensgelände flächendeckend zur Verfügung steht. Die intelligente Vernetzung der Lampen hat zunächst den Vorteil einer smarteren, bedarfsbezogenen Steuerung der Beleuchtung und damit verbunden eine hohe Energieeinsparung. Zum anderen bietet die flächendeckende Verfügbarkeit die Möglichkeiten das Beleuchtungssystem als Basis für die Vernetzung weitere Sensoren, Aktoren oder sogar Videokameras zu nutzen.

Neben diesen beiden aktuellen Beispielen sind zahlreiche weitere Projekte geplant oder bereits in der Pilotphase. Ein Flughafen bietet aufgrund der städtischen Struktur und der Vielfalt von übergreifenden Geschäftsprozessen aus einer Hand ein ideales ‚Ökosystem‘ für das Testen neuer, übergreifender Technologien.

Interne Organisation

Die technischen Veränderungen bringen aber auch die Notwendigkeit für organisatorische Anpassungen und Bedarf zusätzlichen Expertenwissens mit sich. Die Technik Abteilungen benötigen mehr IT Know How und die IT Abteilung mehr Technik Know How. Zum Beispiel erfordert zum Beispiel eine Migration der Gebäudeautomation auf ein Standard LAN fundierte Kenntnisse über Gebäudeautomationsprotokolle (z.B. BACNet) auf Seiten des IT Bereichs.

Die Konsequenzen daraus sind eine sehr enge, bereichsübergreifende Zusammenarbeit zwischen Technik und IT Abteilung, eine gemeinsame technische Plattformstrategie sowie eine enge Abstimmung des Projektportfolios beider Bereiche.

Darüber hinaus entsteht der Bedarf von neuen Qualifikationen und Berufsbilder. Für die Umsetzung datengetriebener Geschäftsmodelle im Rahmen der Digitalisierung werden Datenanalysten benötigt, die detailliertes IT Fachwissen besitzen und zudem ein ausgeprägtes Prozess- und Geschäftsverständnis haben. Ihre Aufgabe ist es Daten sinnvoll miteinander zu korrelieren und Maßnahmen daraus abzuleiten. Durch das derzeitige Fehlen von gut ausgebildeten und professionellen Datenanalysten auf dem Markt können nicht alle Potenziale aus den Projekten im Digitalisierungsumfeld realisiert werden.

Blockchain – die nächste Evolutionsstufe?

Aktuell finden unternehmensübergreifend viele Workshops statt, um Chancen und Prozessverbesserungen aus der zunehmenden Digitalisierung zu identifizieren. In diesen Workshops ist auch immer öfter Blockchain ein Diskussionsthema. Das grundsätzliche Prinzip der Blockchain Technologie erscheint für verschiedenste Anwendungsfälle wie Smart Contracting oder Micropayment im Unternehmen höchst interessant. Gerade für einen Flughafen mit vielen Datenschnittstellen zu allen Prozessbeteiligten (z.B. Airlines, Abfertiger) können Blockchain Technologien zukünftig eine wichtige Rolle spielen.

Darüber hinaus könnten spezialisierte Umsetzungen der verteilten Transaktionstechnologien (z.B. IOTA Stiftung) eine wichtige Grundlage für sichere Transaktionen der „Internet der Dinge“ bilden. Die Ideen der Blockchain Technologien haben damit das Potential für eine nächste fundamentale Revolution für Unternehmen.

Johann Götz ist am Flughafen München verantwortlich für die Software- und Infrastrukturentwicklung. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Zusammenwachsen von Technik- und IT Systemen. Vor seiner Tätigkeit beim Flughafen München war er in verschiedenen Positionen bei Siemens Business Services – u.a. Systemadministration und Aufbau der weltweiten Internetübergänge – tätig. Insgesamt verfügt er über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Projektmanagement, Aufbau von IT Architekturen, Coaching und IT Management.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

21239

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel