Blockchain in der Industrie – der Hype hat seine Gründe

Von   Lee Hibbert   |  Industry Analyst und Content Director   |   Technical Publicity
25. Juli 2017

Von Zeit zu Zeit entsteht ein Hype um eine Technologie, dass es schwerfällt, ihr wahres Potenzial wirklich zu erfassen. Das Thema Blockchain, welches auf der grundlegenden Architektur der Kryptowährung Bitcoin basiert, ist so ein Fall und wird in Industriekreisen zurzeit heiß diskutiert.
Bei einer Blockchain handelt es sich um eine Art dezentrales Register, das eine kontinuierlich wachsende Liste an Einträgen enthält und vor Fälschung und nachträglicher Bearbeitung geschützt ist. Im Bereich der Aufzeichnung von Peer-to-Peer-Zahlungen mit digitalen Währungen hat es sich bereits als technische Lösung bewiesen.

Doch das Potenzial der Blockchain-Technologie ist nicht nur auf die Finanzbranche begrenzt und sollte auch in der Industrie mitgedacht werden. So könnte die Technologie zum Beispiel ungeahnte Potenziale im Bereich der Versorgungskette wecken, in dem es als unveränderbares und verlässliches Logbuch für Transaktionen oder als Lagerdokumentation dient und zwischen den Geschäftspartnern ausgetauscht werden kann. Bisher entsteht bei jeder Lieferung – insbesondere bei internationalen – ein Dokumentationswust aus Frachtbriefen, Rechnungen und weiteren Authentifizierungsunterlagen. Was wäre, wenn der Materialfluss, die Verträge und Zahlvorgänge in der Blockchain hinterlegt würden, sobald eine Lieferung auf die Reise geht? Alle Aktivitäten und relevanten Dokumentationen könnten in nahezu Echtzeit von allen autorisierten Partnern eingesehen werden, wodurch die Sicherheit erhöht, Betrugsmöglichkeiten reduziert und Engpässe durch die Verifizierung Dritter vermieden werden könnten.

Die Supply-Chain-Finanzierung ist ebenfalls ein Bereich, in dem der Einsatz von Blockchain-Technologie bestehende Geschäftsmodelle grundlegend verändern könnte. Rechnungsabwicklungen könnten über die Blockchain für beteiligte Parteien automatisiert werden – ohne dass Drittparteien wie Banken hinzugezogen werden müssen. So könnte der Zeitbedarf für Transaktionen auf wenige Minuten reduziert und die Verzögerung zwischen den Zahlvorgängen innerhalb der Supply-Chain minimiert werden.

Das Potenzial der Blockchain für die Versorgungskette oder Logistikanwendungen ist von einigen Industriegrößen bereits seit längerem erfasst worden. So entwickeln zum Beispiel IBM und der Seetransport-Riese Maersk ein Verfahren auf Blockchain-Basis, um die Dokumentation von Millionen von Containern weltweit zu koordinieren und nachzuverfolgen. Ein wichtiger Schritt mit dem Ziel der Digitalisierung der gesamten Supply-Chain-Prozesse von Anfang bis Ende.

Das Internet der Dinge, Internet of Things (IoT), spielt in der Industrie eine immer größere Rolle und bringt neue Geschäftsmodelle mit sich. Auch hier ist der Einsatz von Blockchain denkbar, um Daten physischer Objekte oder Dienste zu erfassen. Das Versprechen nicht manipulierbarer Datenaufzeichnung vereinfacht die Zusammenarbeit zwischen OEMs und deren Kunden und reduziert Kosten. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass viele produzierende Unternehmen aktuell Servitisation-Strategien entwickeln, bietet die Blockchain vielversprechende Vorteile. Servitisation heißt, das bisherige Angebotsportfolio zu ändern – weg von reinen Sachgütern, hin zu einer Kombination von Produkt und Service. Die meisten Strategien basieren dabei auf einer Vielzahl kleiner und kleinster Transaktionen in der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation. Die Blockchain protokolliert diese, weist die Authentizität der Daten nach und stellt sie für Serviceangebote zur Verfügung.

Die Blockchain-Technologie bleibt spannend. In der Theorie wissen wir um ihr großes Potenzial – in der Praxis stehen wir noch am Anfang. So kann heute noch niemand wirklich sagen, wie und wo sie am Ende wirklich genutzt werden wird. Doch die Stärke der Blockchain liegt vor allem in den Bereichen, wo viele Partner gemeinsam Daten teilen und alle Aktionen protokolliert werden müssen. Der Einsatzbereich scheint gerade im Hinblick auf Industrie 4.0 oder Supply-Chain-Management nahezu unbegrenzt. Kein Wunder, dass Branchengrößen wie Airbus, Daimler, GE oder Siemens alle Teams beschäftigen, die sich explizit damit beschäftigen, wie die Blockchain-Technologie sinnvoll und gewinnbringend eingesetzt werden kann.

Einen Schritt weiter ist die Energiebranche: Innogy als Tochter des Energieriesen RWE hat bereits im April 2017 rund 1.000 Ladesäulen für Elektrofahrzeuge mit Blockchain-Technologie ausgestattet und will das Netz weiter ausbauen. Carsten Stöcker, Blockchain-Experte bei Innogy, sagte der WirtschaftsWoche, dass die Technik dritte Parteien zwischen Kunde und Ladesäule einsparen solle. So könnte die Effizienz gesteigert werden, da sich unter anderem die zeitintensive Kundendatenbankpflege einsparen ließe. Vorstellbar wäre zudem, dass die aufzuladenden Fahrzeuge künftig über die Blockchain Technologie und Features wie Smart Contracts eigenständig den Bezahlvorgang an der Ladesäule vornehmen. Auch der Übertragungsnetzbetreiber Tennet hat sich mit dem Solar- und Stromspeicher-Unternehmen Sonnen zusammengeschlossen und will mit Hilfe von Blockchain und häuslichen Solarstrom-Batterien teure Redispatch-Eingriffe im Kraftwerksbetrieb ersetzen.

Keine Frage: Die Erwartungen an die Blockchain könnten in der Industrie kaum größer sein – und wenn man sich die ersten Versuche und Überlegungen ansieht, dann könnte diese Technologie den Hype durchaus wert sein.

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