Alles muss laufen – am Flughafen München

Von   DIGITALE WELT Magazin   |  Autor   |  Digitale Welt Magazin
9. Dezember 2016

Er ist der Herr über alle Daten und Informationen am Flughafen München, kurz der Chief Information Officer, CIO. Michael Zaddach hat ein Team von 250 Experten und weiß genau, was Digitalisierung am Flughafen München bedeutet. Er kennt die Informationstechnik und ist stets auf der Suche nach neuesten Innovationen.

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Täglich starten und landen bis zu 150.000 Reisende. Der richtige Passagier muss mit dem richtigen Koffer pünktlich im richtigen Flieger sein. Was heißt das für den Flughafen?

Wir müssen zu jedem Zeitpunkt wissen, welche Passagiere an Bord sind, welche Koffer an Bord sind, was  zur Verladung ansteht. Wir müssen das Personal planen, die Fahrzeuge auf dem Vorfeld koordinieren und die Koffer befördern. Und das bei einer garantiert kürzest möglichen Umsteigedauer von 30 Minuten. Das alles muss natürlich wie geschmiert laufen,..

Bleiben wir mal beim Gepäck. Wie funktioniert die Logistik?

Das Tracking der Koffer funktioniert ähnlich wie die Verfolgung der Pakete bei DHL. Da weiß ich, wo mein Paket gerade beim Onlineversandhändler ist. Das ist bei den Koffern am Flughafen ähnlich. Wir wissen auch, wo gerade ein bestimmter Koffer ist.

Sind alle Informationen in den Systemen des Flughafens drin?

Ja. Es gibt einen weltweiten Datenaustausch zwischen allen Beteiligten –  den Airlines, den Flughäfen, der Flugsicherung . Wenn zum Beispiel ein Flug aus New York nach München kommt, dann wissen wir genau wann der hier ankommt. Wenn der in New York startet, bekommen wir direkt übermittelt, wie viele Passagiere an Bord sind. Wir wissen, wie viele Passagiere in welcher Klasse sitzen, welche Koffer an Bord sind und welcher Koffer zu welchem Passagier gehört. Alle Informationen werden in einer großen zentralen Datenbank gespeichert.

DAS UNTERIRDISCHE GEPÄCKBEFÖRDERUNGSSYSTEM ähnelt einer exorbitanten Achterbahn. Es hat eine Gesamtlänge von 60 Kilometern und wird vom Flughafenchef als Disneyland bezeichnet. Foto: Flughafen München
DAS UNTERIRDISCHE GEPÄCKBEFÖRDERUNGSSYSTEM ähnelt einer exorbitanten Achterbahn. Es hat eine Gesamtlänge von 60 Kilometern und wird vom Flughafenchef als Disneyland bezeichnet. Foto: Flughafen München

Das heißt, die IT hat alle Informationen, bevor das Flugzeug landet. – Und dann?

Die höchste Priorität hat der Passagier mit einem Anschlussflug. Vielleicht fliegt er von München nach Mailand weiter. Er hat Umsteigegepäck. Neben Business und First Class wird das mit höchster Priorität sortiert. Danach kommen die Koffer der Reisenden, die hier ihr Ziel haben, auf das Gepäckband.

Wie bekommt der Flughafen die Daten? Wohl nicht mit einer E-Mail?

Lacht. – Nein, wir haben ein weltweites Netz, das von der SITA (Société Internationale de Télécommunications Aéronautiques; Anm. d. Red.) betrieben wird. Nach einem weltweit standardisierten Datenformat werden alle Informationen ausgetauscht. Wenn bei uns ein Flugzeug, sagen wir nach Dubai abfliegt, dann schicken wir die Daten an die SITA und die SITA verteilt sie weiter an den Zielflughafen.

Wohin werden die Daten geschickt?

Die SITA ist eine Firma, die aus einer Initiative der Luftverkehrsgesellschaften hervorgegangen ist. Sie wurde in Belgien gegründet und hat Rechenzentren auf der ganzen Welt. In der Regel schicken wir unsere Daten nach London.

Daten zu einer erwarteten Landung werden gespeichert?

Ja, die laufen bei uns im Rechenzentrum auf. Wir haben aber nicht nur ein Rechenzentrum sondern zwei. Der Betrieb muss immer laufen, selbst wenn ein Rechenzentrum unter Wasser stehen würde. Das heißt, alle wichtigen Systeme, die für Abläufe hier am Flughafen notwendig sind, haben wir doppelt – einmal in einem Rechenzentrum und einmal komplett gedoppelt in dem zweiten. Zwischen diesen Rechenzentren schalten wir hin und her. So stellen wir sicher, dass jedes Rechenzentrum wirklich aktiv ist.

Wann wird welches Rechenzentrum genommen?

Wir schalten jede Woche um.

Wann wird umgeschaltet?

Lacht. –  Das verrate ich jetzt nicht. – Nein, also wir machen das während der Mittagszeit. Das machen wir nicht in der Nacht, weil das für unser Operating ein ganz normaler Betriebsvorgang ist. Manche Firmen haben „Stand-By-Rechenzentren“,  die nur im absoluten Notfall benutzt werden. Dann hat man natürlich immer Panik, ob das Umschalten klappt. Deshalb machen wir das anders: bei uns sind die beiden Rechenzentren identisch. Mit einer schnellen Datenverbindung werden die Datenspeicher gespiegelt. In einer Woche arbeiten wir aktiv auf dem einen Rechenzentrum und in der nächsten Woche auf dem anderen.

Wie weit sind die Rechenzentren auseinander?

Die sind beide auf dem Flughafengelände, aber weit genug auseinander, dass bei einer Katastrophe wirklich nur eins beschädigt würde  und damit der Betrieb nicht beeinträchtigt wäre.

Wer schaut sich die Daten aus dem Rechenzentrum denn hier am Flughafen an?

Wir haben mehrere Leitzentralen, zum Beispiel eine Gepäckleitwarte, in der die Mitarbeiter  genau wissen, welches Gepäckstück wo hier am Flughafen ist. Es gibt Verkehrsleitzentralen, die die ganzen Umsteigevorgänge koordinieren und es gibt entsprechende Leitstellen der  Partner. Gemeinsam können sie auf unsere Daten schauen, und zwar alle auf die Sekunde genau auf die gleichen Daten. Sonst wäre Pünktlichkeit unmöglich.

DER IT-LEITSTAND mit Dutzenden von Bildschirmen dient zur Überwachung und Steuerung aller IT-Systeme des Flughafens. Foto: Flughafen München
DER IT-LEITSTAND mit Dutzenden von Bildschirmen dient zur Überwachung und Steuerung aller IT-Systeme des Flughafens. Foto: Flughafen München

Im April 2016 wurde das neue Terminal eröffnet, der Satellit. Zu 40 Millionen möglichen Reisenden sind über Nacht 11 Millionen hinzugekommen. Ein Knopfdruck  – und alles hat funktioniert?

Alle wesentlichen Systeme existierten am Flughafen schon, zum Beispiel das Anzeigesystem für Fluginformationen oder die Videoüberwachung. Wir haben all das in das neue Gebäude nur verlängert. Das war nur eine Mehrung von Endgeräten. Statt 2.500 Displays für Fluginformationen, haben wir jetzt halt 3.000. Oder statt bisher 2.800 Kameras haben wir 600 mehr. Es gibt aber auch ein paar Besonderheiten im Satelliten: eine Doppelfassade, neue Türen, Rolltreppen, Aufzüge, die gesteuert werden müssen. Das muss natürlich auch angebunden werden an unsere zentrale Datenbank, damit die richtigen Türen automatisch für die richtigen Reisenden aufgehen.

Wie ist das mit dem unterirdischen Zug, der ganz ohne Personal fährt?

Der Zug fährt 400 Meter mit bis zu 45 km/h im Pendelverkehr durch einen Tunnel zum neuen Satelliten. Dies geschieht in einem festen Raster. Doch jeder Tag ist bei uns anders. Wir wissen, die schwächsten Tage sind Dienstag und Samstag. Dagegen sind Montag und Freitag die stärksten Tage. Im Winter haben wir 15% weniger Verkehr als im Sommer. Deshalb sind wir jetzt dabei, unterschiedliche Betriebszustände für den Zug einzuführen: den Standardmodus und einen Hochleistungsmodus, damit er bei Bedarf häufiger fahren kann.

Läuft alles automatisch?

Ja, soweit es geht läuft alles automatisch. Wir haben aber die Philosophie, dass eine Entscheidung zum Schluss immer ein Mensch trifft. Das heißt, das System gibt die Empfehlung, aber die Entscheidung selber trifft der Mensch. Ein Beispiel: wenn ich zwei A380 an zwei Finger direkt nebeneinander stelle, würden sich unter Umständen die Tragflächen überlappen.  Das heißt ich muss genau wissen, welcher Flugzeugtyp neben welchem stehen darf. Das System kennt diese Regeln und macht auch keine Fehler. Aber trotzdem trifft die Entscheidung dann der Mensch. Sicherheit hat bei uns höchste Priorität.

Was sind aktuell hier am Flughafen die großen Themen der IT?

Internet of Things. Wir haben eine der europaweit größten Anlagen zur Gebäudeautomation mit über 250.000 Sensoren. In der Zukunft sind die Sensoren  einfach nur Komponenten im Netz. Genau wie ein Rechner haben sie eine IP-Adresse, werden in ein Netzwerk eingebunden und  von der  Zentrale aus gemanagt. – Das zweite große Thema ist „Seamless Travel“. Wir wollen unsere Passagiere in Zukunft noch besser mit individuellen Informationen und Angeboten versorgen, damit sie noch entspannter reisen können.

Sind das die gleichen Methoden wie bei Google & Co?

Im Prinzip schon. Nur wir haben viele Informationen schon durch den Reiseprozess, wenn ein Passagier ins Parkhaus fährt und sich da kenntlich macht, oder wenn er an Touch-Points oder der Sicherheitskontrolle seine Board-Karte scannt. Damit wollen wir personalisiert auf seine Bedürfnisse eingehen.

Was passiert mit den Daten? Gebt Ihr die auch raus?

Nein, nein. Natürlich nicht. Das Thema Data Privacy und Datensicherheit ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Wir müssen um alles in der Welt vermeiden, dass Daten nach außen dringen, das geht gar nicht. Und der Passagier hat natürlich das letzte Wort, ob er uns diese Daten gibt oder nicht.

Claudia Linnhoff-Popien

Michael Zaddach, Michael Kerkloh und Claudia Linnhoff-Popien im Büro des Flughafen-Chefs. Foto: Barbara Giese
Michael Zaddach, Michael Kerkloh und Claudia Linnhoff-Popien im Büro des Flughafen-Chefs. Foto: Barbara Giese

 

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